Das Horror-Regime des «Auserwählten» - «Unreines» Kind in Hundeh ütte Von Annette Birschel, dpa

Jahrelang lebte ein Vater mit sechs Kindern isoliert im
niederländischen Ruinerwold. Was geschah auf dem Hof? Das Tagebuch
des Vaters und Aussagen der Kinder offenbaren eine Hölle.

Assen (dpa) - Für Josef B. ist es eine einzige «Hexenjagd». Der
58-jährige Österreicher mit dem grauen Vollbart sieht sich eigentlich
als Opfer. «Wenn ein Mensch an Gott glaubt, dann ist das doch seine
eigene Entscheidung?» Was also tue er hier auf der Anklagebank in
Assen im fernen Nordosten der Niederlande?

Der Gott, auf den Josef B. sich am Dienstag berief, heißt Gerrit Jan
van D.. Das ist der 67 Jahre alte Niederländer, der sechs seiner
Kinder neun Jahre lang auf einem Hof festgehalten und misshandelt
haben soll. Und niemand hat es angeblich gewusst.

Für die Staatsanwaltschaft ist klar: Beide Männer sind der
Freiheitsberaubung schuldig. Josef B. spielte eine Schlüsselrolle in
dem grausigen Fall von Ruinerwold, der weltweit Schlagzeilen machte.
Er hatte den abgelegen Hof gemietet, wo im Oktober die Familie
entdeckt wurde. Er hat sie versorgt und finanziert. 5000 bis 8000
Euro monatlich soll er dafür von einem österreichischen Konto
abgehoben haben.

Josef B. nannte sich beim Verhör «Jünger» des Niederländers und
glaubt bis heute an dessen zusammengebastelte Religion. Die hatte
Gerrit Jan van D. in den vergangenen Jahren mit Dutzenden Videos und
Einträgen im Internet verbreitet. Als «John Eagle» propagierte er ein

gesundes Leben im Einklang mit der Natur, fernab von der «unreinen»
Außenwelt. Er nannte sich «Auserwählter».

Das klingt ein bisschen schräg und abgehoben - aber war eine grausame
Realität. Viele Fragen sind in dem Fall noch offen. Aber die Details
aus dem Tagebuch des Vaters und den Aussagen der Kinder, die
Staatsanwältin Diana Roggen nun erstmals nannte, waren so
schockierend, dass es einem kalt über den Rücken lief.

Der Vater hatte offenbar ein System aus psychischem Druck und
brutaler Gewalt aufgebaut und hielt damit die Kinder in seiner Macht.
Zum Beispiel: Ein Kind, 12 Jahre alt, musste monatelang in
einer Hundehütte hausen, abgesondert vom Rest der Familie. Es war
«unrein», hatte der Vater bestimmt.

Die Kinder wurden misshandelt, hatten sie bestätigt. Sie bekamen
tagelang kein Essen oder ihnen wurde die Kehle zugedrückt. «Der Vater
entschied, wann ein Kind einen «bösen Geist» in sich trug.» Und dan
n
folgte eine Strafe: Isolation oft monatelang. Unwillkürlich stehen
einem Szenen aus Spielfilmen über religiösen Wahnsinn vor Augen.

Theoretisch hätten die Kinder, heute sind sie zwischen 18 und 25
Jahre alt, den Hof verlassen können. «Aber manchmal ist ein Schloss
am Tor nicht nötig», so die Staatsanwältin. Das System aus
psychischem Druck, Angst und Gewalt war als Riegel stark genug.

«Die Kinder lebten nur nach dem Willen des Vaters», sagte die
Staatsanwältin und zitierte aus Aussagen der Kinder: «Ich traute mich
nichts zu sagen. Ich ertrug es einfach. Was er sagte, war die
Wahrheit.» Wie die Kinder heute zu dem Vater stehen, ist unklar.
Zumindest die Jüngeren sollen ihn noch unterstützen.

Der Vater ist gelähmt nach einem Schlaganfall und konnte noch nicht
vernommen werden. Und es ist unklar, ob das überhaupt möglich sein
wird. Doch in seinem Tagebuch hatte er die Züchtigungen und sogar die
Vergewaltigungen von zwei seiner älteren Kinder - einem Sohn und
einer Tochter - beschrieben und gerechtfertigt, weil sie von «bösen
Geistern» besessen gewesen seien. Allerdings wusste auch er wohl,
dass das nicht in Ordnung war, sagte eines der Opfer aus. Jedenfalls
hatte er immer erst die Tür geschlossen, bevor er sich an seinen
eigenen Kindern verging.

Schon jetzt wird deutlich, dass das Schreckensregime des Vaters schon
lange vor dem Umzug auf den Hof in Ruinerwold begann. Und sicher auch
vor dem Tod der Mutter 2004. So durften die drei ältesten Kinder etwa
nie mit anderen spielen und keinem sagen, dass sie noch sechs jüngere
Geschwister hatten.

Diese sechs waren nie bei den Behörden gemeldet worden, gingen nie
zur Schule, nie zum Arzt. Sie kannten nur die von ihrem Vater
geschaffene Welt. Ihnen soll es heute den Umständen entsprechend gut
gehen, sagt die Staatsanwaltschaft. Aber was heißt das schon? Wer
weiß, ob sie jemals diese Kindheit und Jugend verarbeiten und ein
Leben in Freiheit führen können - ohne Angst?