Tumult im Prozess um besetztes Haus «Liebig 34» - keine Entscheidung Von Andreas Rabenstein, dpa

Im linksalternativen Berlin-Friedrichshain stehen noch einige zum
Teil besetzte Häuser, Symbole der autonomen Szene. Demonstrationen
richten sich seit Jahren gegen eine Räumung der Rigaer Straße 94. Nun
geht es auch wieder um das Eckhaus Liebigstraße 34.

Berlin (dpa/bb) - Die beiden jungen Frauen stoßen laute Schreie aus,
reißen sich die Kleidung vom Oberkörper und stürmen durch den kleinen

Saal. Ihre knapp 20 Unterstützerinnen auf den Zuschauerstühlen rufen
im Chor: «Liebig bleibt». Justizwachtmeister und Polizisten greifen
ein. Stühle fliegen durch die Gegend an diesem Freitagvormittag. Nach
einigem Gerangel zerrt und schleppt die uniformierte Staatsgewalt die
jungen Protestiererinnen aus dem Raum. Im Berliner Landgericht in
Charlottenburg geht es um ein früher besetztes Haus, das als eines
der letzten Symbole der linksradikalen Szene gilt.

Eine Entscheidung fiel in dem Prozess um das symbolträchtige Haus
Liebigstraße 34 in Berlin-Friedrichshain am Freitag noch nicht. Der
Prozess um die Räumungsklage des Hausbesitzers wird am 13. Dezember
fortgesetzt, wie ein Gerichtssprecher am Nachmittag sagte.

Klar war schon lange: Kampflos wollen die Bewohnerinnen das Haus
nicht übergeben. Der krawallige Protest im Gerichtssaal gehörte zu
einer ganzen Reihe von Aktionen rund um die Häuser in der
Liebigstraße und der angrenzenden - noch bekannteren - Rigaer Straße:
Demonstrationen, Angriffe auf die Polizei, Widerstand gegen
Räumungen. Zwei Tage vor dem Prozess beschädigten vermummte Täter ein

Haus und Autos einer Immobilienverwalterin in Karlshorst. In einem
Bekennerschreiben wurde auf den Prozess verwiesen.

Entscheiden musste das Gericht über eine Räumungsklage des
Eigentümers gegen die Bewohnerinnen, die sich als
«anarcha-queer-feministisches Hausprojekt Liebig 34» bezeichnen. 2018
endete ihr auf zehn Jahre befristeter Gewerbemietvertrag, den ein
Verein der Bewohner mit dem Hausbesitzer abschloss.

Der Prozesstag begann schon am frühen Morgen mit viel Polizei. Das
Gerichtsgebäude wurde wegen eines verdächtigen Gegenstandes
abgesperrt. Am Hintereingang kontrollierten Polizisten einige Dutzend
schwarz gekleideter Besucher aus der linksalternativen Szene. Auch
vor dem Saal und im Saal standen Polizisten.

Zu Anfang erklärte Richter Matthias Borgmann allen Besuchern
freundlich den Ablauf der Verhandlung. Aber kaum ging es los, kippte
eine junge Frau aus den Reihen der Bewohnerinnen von ihrem Stuhl auf
den Boden. Ihre Begleiterinnen riefen laut um Hilfe. Polizisten und
Sanitäter untersuchten sie, in einem Rollstuhl wurde sie weggebracht.
Nach einer halben Stunde ging es für kurze Zeit weiter - bis zu dem
lautstarken Protest mit Sprechchören. Auch die zwei Frauen mit
nackten Brüsten störten den Prozess. Der Richter blieb ruhig, wies
aber alle Zuschauer aus dem Saal.

Der Rechtsanwalt der Bewohner, Moritz Heusinger, argumentierte, der
Prozess sei ohnehin für diesen Tag gelaufen und eine Vertagung nötig.
Seine beiden Mandantinnen, Bewohnerinnen des Hauses, seien kurz vor
Beginn von der Polizei festgenommen worden. Zwar seien sie wieder
freigelassen worden. Die eine habe aber einen Arzt aufsuchen müssen.
Die zweite Frau müsse sich aber noch einer Untersuchung stellen und
sei nicht verhandlungsfähig.

Der Richter setzte einen weiteren Verhandlungstermin fest. Der Streit
um das Haus dürfte aber in jedem Fall auch nach einem ersten Urteil
weitergehen. Beide Parteien können in Berufung gehen. Eine schnelle
Räumung durch die Polizei steht nicht an.