Hitzschlag und Tigermücke: Klimawandel gefährdet Gesundheit

Die Erderwärmung hat Einfluss auf Ernten, Wirtschaftskraft und
Flüchtlingsströme. Groß sind die Auswirkungen aber auch direkt auf
die Gesundheit, warnen Forscher in einem neuen globalen Bericht. Was
heißt das für Deutschland?

London (dpa) - Mit Blick auf einen neuen globalen Bericht zum Thema
Klimawandel und Gesundheit haben deutsche Mediziner einen nationalen
Hitzeschutzplan gefordert. Häufigkeit, Dauer und Intensität von
Hitzewellen nähmen weiter zu, warnte Klaus Reinhardt, Präsident der
Bundesärztekammer, am Donnerstag in Berlin. Das erfordere besser
vorbereitete Rettungsdienste, Kliniken, Alten- und Pflegeheime. Die
gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels würden nicht
irgendwann in weit entfernten Weltgegenden spürbar, sondern hier und
heute.

Die medizinische Fachzeitschrift «The Lancet» hatte am Donnerstag
einen globalen Bericht zum Zusammenhang von Klimawandel und
Gesundheit vorgelegt. Einen halben Monat vor der UN-Klimakonferenz in
Madrid bilanzieren Experten darin die aktuellen und künftigen
Auswirkungen. Gehe der CO2-Ausstoß weiter wie bisher, werde ein heute
geborenes Kind an seinem 71. Geburtstag im Schnitt in einer um 4 Grad
wärmeren Welt leben, heißt es darin. Schon jetzt schädige der
Klimawandel die Gesundheit vieler Menschen massiv.

«Das Thema Gesundheit spielte beim Klimawandel lange keine Rolle»,
erläuterte Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und
Gesundheit an der Berliner Charité. Das habe sich geändert. Schon
heute sind Auswirkungen auch hierzulande zu spüren, wie ein
zusätzlicher Bericht von Wissenschaftlern für Deutschland belegt.

Nach einer Analyse des Helmholtz Zentrums München gibt es bereits
jetzt mehr Herzinfarkte und Todesfälle infolge von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen an heißen Tagen. Das Problem kann nach
dem «The Lancet»-Bericht noch ganz andere Dimensionen bekommen: Wenn
sich nichts am Ausstoß von Treibhausgasen ändert, rechnen die
Forscher bis zum Ende dieses Jahrhunderts mit jährlich fünf
zusätzlichen Hitzewellen in Norddeutschland und mit bis zu 30 mehr in
Süddeutschland.

In Alten- und Pflegeheimen sei künftig mehr Personal nötig, etwa um
sicherzustellen, dass Senioren ausreichend trinken, sagte Reinhardt.
Neben Hitzschlägen drohe sonst akutes Nierenversagen durch
Flüssigkeitsmangel. Am stärksten durch Hitze gefährdet seien neben
älteren Menschen Säuglinge, chronisch Kranke und Arbeitskräfte im
Freien, darunter Bauarbeiter und Landwirte. «Wir begreifen es als
unsere ärztliche Pflicht, diese Auswirkungen klar zu benennen und
entsprechende Maßnahmen einzufordern.»

Zecken und Mücken als Überträger tropischer Infektionskrankheiten
spielen mit steigenden Temperaturen auch in unseren Breiten zunehmend
eine Rolle. West-Nil-Fieber wurde in diesem Jahr erstmals bei
Menschen in Deutschland festgestellt, die sich mit dem Virus nicht
bei Reisen im Ausland, sondern beim Stich heimischer Mücken
ansteckten. Zika-Infektionen durch dort heimische Tigermücken wurden
erstmals aus Südfrankreich gemeldet. Die Mücken können auch Dengue
und Chikungunya übertragen.

Für Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und
Immunologie in Leipzig müssen deutsche Ärzte von Mücken übertragene

Erreger künftig verstärkt «auf dem Schirm» haben. «So blieben die
ses
Jahr zum Beispiel die meisten West-Nil-Virus-Infektionen unerkannt,
weil bei Grippe-ähnlichen Symptomen niemand an diesen Erreger
dachte.» Nötig seien Fortbildungen und gute Testsysteme.

Allergieforscher Torsten Zuberbier von der Charité in Berlin begrüßt

den Report. Es fehle ihm jedoch ein wichtiger Aspekt: Durch den
Klimawandel habe sich auch Pollenflug verstärkt und die Blütezeit
verlängert. Zudem breiteten sich allergene Pflanzenarten wie etwa
Ambrosia in Europa weiter aus.

Dazu kommt laut Lancet-Bericht eine Gruppe von Bakterien, die
Vibrionen, als zunehmende Gefahr - auch in der Ostsee. Die Erreger
können Magen-Darm- und Wundinfektionen verursachen. Seit den 1980er
Jahren habe sich aufgrund höherer Wassertemperaturen die Anzahl der
Tage verdoppelt, an denen man sich mit Vibrionen in der Ostsee
anstecken kann. 2018 waren es schon 107 Tage.

Vom globalen Klimawandel seien Kinder am stärksten betroffen, betonte
Nick Watts, Chef des internationalen Lancet-Konsortiums.
Ernterückgänge durch den Klimawandel und Unterernährung als Folge
träfen sie zum Beispiel am schlimmsten. Dazu hätten Menschen in 77
Prozent der Länder zunehmend mit Waldbränden und ähnlichen Feuern zu

kämpfen. Die Luftverschmutzung insgesamt habe 2016 weltweit zu 7
Millionen Todesfällen geführt, 2,9 Millionen davon habe Feinstaub
verursacht.

In Deutschland trug die Feinstaubbelastung (PM 2,5) 2016 laut Bericht
zu über 44 800 frühzeitigen Todesfällen bei, 8000 davon seien auf d
ie
Verbrennung von Kohle zurückzuführen. Feinstaub stammt unter anderem
auch aus dem Verkehr und der Industrie.

Würde die Erderwärmung dagegen auf 1,5 Grad begrenzt - wie im Pariser
Klimaabkommen gewünscht - und würden Versprechen der Länder
eingehalten, sehe es für die Zukunft besser aus, so die Forscher. Ein
Kind in England könnte dann mit sechs Jahren den Kohleausstieg
erleben, in Frankreich mit 21 Jahren den Abschied von Benzin- und
Dieselautos und alle heute Geborenen weltweit könnten mit 31 Jahren
erleben, dass nur noch so viel CO2 produziert wird, wie von der Natur
oder mit technischen Mitteln aufgenommen werden kann. Zugleich könnte
die Luft reiner und die Infrastruktur besser sein.

Die Autoren haben vier Kernforderungen: Eine schnelle und komplette
Abkehr vom Kohlestrom weltweit sowie eine Sicherheit dafür, dass die
reichen Staaten wie zugesagt den ärmeren ab 2020 jährlich 100
Milliarden Dollar an Klimaunterstützung geben. Zudem sei es
notwendig, den öffentlichen Verkehr sowie das Gehen und Radfahren zu
fördern. Wichtig sei es auch, in Gesundheitssysteme zu investieren,
damit sie durch die Erderwärmung geschädigten Menschen helfen können

und nicht zusammenbrechen.