Der Mond im Spiegel - deutsche Technik funktioniert noch nach 50 Jahren Von Michael Bauer, dpa

Seit 50 Jahren unterstützt ein ganz besonderer Spiegel auf dem Mond
Wissenschaftler bei der Suche nach Antworten auf Fragen zu Raum und
Zeit. Doch wie kam ein Werkstoff aus Hessen in einen Koffer für die
Mondlandung?

Hanau (dpa) - Wenn die Amerikaner am 20. Juli den 50. Jahrestag der
ersten Mondlandung feiern, hat Deutschland einen kleinen Grund
mitzufeiern. Denn seit jenem historischen Tag im Jahr 1969 steht
deutsche Hightech auf dem Mond. Neil Armstrong und Buzz Aldrin
stellten bei ihrem Besuch auf dem Erdtrabanten einen Laserreflektor
aus Quarzglas ab, das vom hessischen Technologiekonzern Heraeus
produziert wurde. Der Reflektor funktioniert bis heute - und dient
unter anderem dazu, die Entfernung zwischen Erde und Mond genau zu
bestimmen.

Wie ein Katzenauge wirft der aus 100 sogenannten Tripelprismen
bestehende Reflektor seit 50 Jahren Laserstrahlen zurück, die von der
Erde aus zu der Landestelle von Apollo 11 geschickt werden. Anhand
der Zeit, die der Strahl für seine Reise zum Mond und zurück braucht,
errechnen Wissenschaftler unter anderem den exakten Abstand zur Erde
- im Schnitt rund 384 000 Kilometer.

Warum kam Quarzglas aus Hanau bei dem Prestigeprojekt der
US-Raumfahrt zum Zuge? «Die Umweltbedingungen auf dem Mond sind
extrem, und nur Heraeus war in den 1960er Jahre in der Lage,
Quarzglas mit der geforderten Qualität herzustellen», sagt
Unternehmenssprecher Michael Schattenmann heute. Bei der Herstellung
dieses Hightech-Werkstoffs, der den extremen Temperaturschwankungen
und der aggressiven UV-Strahlung auf der Mondoberfläche standhalten
müsse, habe das Familienunternehmen aus Hanau die Nase vorn. «Der
patentierte Prozess zur Herstellung von optisch homogenem
3-D-Quarzglas war damals und ist heute immer noch weltweit
einzigartig», ergänzt der Sprecher.

Der Spiegel auf dem Mond ist gerade mal so groß wie ein Handkoffer.
«Der Strahl fächert sich auf seinem Weg zur Mondoberfläche auf einen

Durchmesser von rund zwei Kilometern auf», erläutert der
Heraeus-Sprecher. Damit überhaupt noch genau gemessen werden könne,
dürfe es bei der Reflexion keinen Streuverlust mehr geben. Die
Reinheit des Werkstoffs aus Hessen garantiere das. Zusätzlich zu dem
Reflektor brachten 1971 die beiden Apollo-14- und Apollo-15-Missionen
zwei weitere «Katzenaugen» mit Hanauer Glas zum Mond. Sie helfen
dabei, die schwankende Eigendrehung des Erdtrabanten genau zu
vermessen.

Die Fernsehbilder von der Mondlandung verfolgten 1969 auch viele der
rund 550 Mitarbeiter von Heraeus-Quarzglas, die direkt oder indirekt
an der Produktion der Prismen beteiligt waren. «Wir wussten aber
nicht, dass die Astronauten den Reflektor aufstellen», erzählt der
heute 82 Jahre alte Gerhard Steiner, der damals für die
Qualitätsprüfung mitverantwortlich war.

«Als der Astronaut mit dem Koffer aus der Fähre ausstieg, wusste ich
nicht, was es ist», berichtet auch Peter Hitzschke (81). Als
Ingenieur war er Ende der 60er Jahre Assistent des Fertigungsleiters
bei Heraeus-Quarzglas. Dass es sich bei jenem Koffer um den Reflektor
mit dem Hanauer Spezialglas handelte, sei erst in den Tagen nach der
Landung bekannt geworden. Die Freude und die Begeisterung der
Mitarbeiter sei dann riesig gewesen. «Und auch die Familienmitglieder
waren stolz, dass ihr Mann oder ihre Tochter oder wer auch immer in
so einer Firma arbeitete. Wir waren auf dem Mond - alle miteinander.»

Das vor 50 Jahre begonnene Experiment ist für die Wissenschaft kein
alter Hut. Es nötigt auch heute noch Forschern Respekt ab. «Durch den
Retroreflektor verstehen wir die Evolution der Mondbahn heute so
genau, dass wir sie fast bis zur Erstehung des Mondes zurückrechnen
können», sagt der Mondexperte der Europäischen Raumfahrtagentur ESA,

Markus Landgraf. «Da der Mond und seine Umlaufbahn signifikante
Effekte auf der Erde haben, verstehen wir auch die Bedingungen auf
der Erde - etwa Gezeiten - in prähistorischen Zeiten.»

Doch damit nicht genug, wie Landgraf betont. Die Messung sei für die
Wissenschaft wichtig, weil sie so genau sei. «Die Genauigkeit erlaubt
die Untersuchung von Konzepten moderner Physik - speziell des
Einsteinschen Allgemeinen Gravitationsgesetzes.» Und der Reflektor
funktioniere so gut, weil der Staub auf dem Mond - im Gegensatz zum
Mars - meistens auf dem Boden bleibe, ergänzt Landgraf. «Im
Allgemeinen bleiben Dinge auf der Mondoberfläche, zum Beispiel auch
die Fußabdrücke der Apollo-Astronauten, auf dem Mond für
Jahrzehntausende erhalten.»