Von Kanzlern und vertuschten Krankheiten

Berlin (dpa) - Ein Bundeskanzler mit schwacher Gesundheit? Das war
und ist für viele undenkbar. Waren frühere Regierungschefs ernsthaft
krank, wurde geschwiegen oder bewusst verharmlost. Schwäche zu
zeigen, verbot sich im Amt des Bundeskanzlers offenbar. Man fürchtete
wohl, dies könne ausgenutzt werden - vom politischen Gegner etwa oder
von Konkurrenten innerhalb der eigenen Partei.

Bei WILLY BRANDT zum Beispiel gab es während seiner Amtszeit
Spekulationen über mögliche Depressionen, da er sich regelmäßig f
ür
einige Tage zurückzog. Kurz vor seinem Rücktritt war dann offiziell
von einer «fiebrigen Erkältung» die Rede. Im Nachhinein gab der 1992

verstorbene Altkanzler zu: «In Wirklichkeit war ich kaputt.»

Brandts Nachfolger HELMUT SCHMIDT antwortete in einem Interview der
«Zeit» 2014 auf die Frage, ob Brandts Depressionen kaschiert worden
seien: «Wir haben darüber nicht geredet, wir haben es stillschweigend

zur Kenntnis genommen. Und er hat seine Arbeit doch fabelhaft
gemacht.»

Schmidt selbst litt regelmäßig unter Ohnmachtsanfällen, die während

seiner Kanzlerschaft nicht offiziell publik wurden. «Wir haben
darüber nicht geredet, sondern es war klar, dass wir nichts sagen
würden. Das Entscheidende ist, dass die Umgebung des Politikers, dass
die die Schnauze halten», sagte er im selben Interview. «Ich bin
wahrscheinlich an die hundert Mal besinnungslos vorgefunden worden.
Meistens nur wenige Sekunden, manchmal aber auch Minuten. Das haben
wir mit Erfolg verheimlicht - und es hat mich nicht daran gehindert,
meine Pflicht als Regierungschef zu tun.»

Auch HELMUT KOHL hatte als Kanzler mit gesundheitlichen Problemen zu
kämpfen. Kurz vor dem Bundesparteitag der CDU im September 1989 etwa
litt er unter großen Schmerzen - und hätte eigentlich sofort an der
Prostata operiert werden sollen. Stattdessen verständigte sich Kohl
mit seinem Arzt auf einen provisorischen Eingriff, fuhr am nächsten
Tag zum Parteitag und stand ihn irgendwie durch. Eine Absage war für
Kohl undenkbar, da er Angst vor einem parteiinternen Putsch hatte.
Sein Arzt war während des Parteitags dabei und wurde als «neuer
Mitarbeiter» ausgegeben, wie Kohl in seinen «Erinnerungen» schreibt.