Bundesgerichtshof entscheidet über Sterbebegleitung bei Suizid Von Birgit Zimmermann, dpa

Wie weit reicht der freie Wille bei Menschen, die ihr Leben beenden
wollen? Und wie müssen sich Mediziner verhalten? Um diese
grundsätzlichen Fragen geht es am Mittwoch am Bundesgerichtshof.

Leipzig (dpa) - Am Bundesgerichtshof (BGH) wird ein grundlegendes
Urteil zu Sterbehilfe und Sterbebegleitung erwartet. Der Außensenat
des BGH in Leipzig verhandelt am Mittwoch über die Revisionen gegen
Freisprüche zweier Ärzte aus Berlin und Hamburg. Die Mediziner hatten
Menschen, die ihr Leben mit einer tödlichen Medikamentendosis beenden
wollten, beim Sterben begleitet. Maßnahmen zur Rettung ergriffen sie
nicht. Es geht darum, wie weit der Patientenwille reicht.

Was muss der BGH entscheiden?

Der Bundesgerichtshof muss klären, ob Ärzte sich strafbar machen,
wenn sie nicht versuchen, Menschen zu retten, die zuvor freiwillig
eine tödliche Medikamentendosis geschluckt haben. «Gibt es eine
Pflicht zur Wiederbelebung - das ist eine zentrale Frage», sagte
Anwalt Walter Wellinghausen, der einen der Ärzte vertritt. Die
Ärztegewerkschaft Marburger Bund geht von einem grundlegenden Urteil
für die Medizinerschaft aus. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz
erwartet eine Grenzziehung «zwischen erlaubter Suizidbeihilfe
im Einzelfall und verbotener Tötung auf Verlangen».

Um welche Fälle geht es?

Zum einen geht es um zwei ältere Damen aus Hamburg, die sich 2012
entschlossen hatten, aus dem Leben zu scheiden. Der angeklagte Arzt
war dabei, als sie die tödlichen Medikamente einnahmen und begleitete
ihr Sterben. Zum anderen geht es um eine chronisch kranke 44-Jährige
aus Berlin, die 2013 ihr Leben ebenfalls beendete. Der angeklagte
Arzt hatte ihr ein starkes Schlafmittel verschrieben. Davon nahm sie
eine mehrfach tödliche Dosis. Dann informierte sie den Arzt, der nach
der komatösen Frau sah, aber keine Rettungsmaßnahmen ergriff.

Was haben die Vorinstanzen entschieden?

Die Landgerichte Berlin und Hamburg haben die Mediziner jeweils vom
Vorwurf eines Tötungsdeliktes freigesprochen. Beide Gerichte hatten
keine Zweifel, dass die Patienten fest entschlossen waren, ihre Leben
zu beenden. Der Patientenwille zähle, so die Gerichte. Gegen die
Freisprüche haben die Staatsanwaltschaften Revisionen eingelegt. Es
gibt eine alte Rechtsprechung des BGH, das sogenannte Peterle-Urteil
von 1984, wonach Ärzte sich unter Umständen doch strafbar machen,
wenn sie bewusstlose Patienten nicht zu retten versuchen. Es wird
erwartet, dass der BGH auch klärt, wie weit der Patientenwille nach
Eintritt der Bewusstlosigkeit reicht.

Welche Rolle spielt der umstrittene Paragraf 217 des
Strafgesetzbuches zum Sterbehilfe-Verbot?

Für dieses Verfahren keine, denn die Fälle sind älter. Das Verbot der

«geschäftsmäßigen Förderung der Sterbehilfe» gibt es so erst se
it
2015. Paragraf 217 ist hoch umstritten. Er zielt auf die organisierte
Form der Suizidbeihilfe als eine Art Geschäftsmodell. Schwer kranke,
Menschen, Ärzte und Sterbehilfe-Vereine haben dagegen vor dem
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geklagt. Die Entscheidung steht
noch aus.

Was ist eigentlich aus dem aufsehenerregenden Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts zur Sterbehilfe geworden?

Das Leipziger Gericht hatte 2017 geurteilt, dass der Staat unheilbar
Kranken in extremen Ausnahmesituationen den Zugang zu einem tödlichen
Medikament nicht verwehren dürfe. Seither gingen zahlreiche Anträge
beim zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
ein. Genehmigt wurde keiner - auch mit Blick auf Paragraf 217 zum
Sterbehilfe-Verbot. Das Karlsruher Urteil, das frühestens im Herbst
erwartet wird, wird daher wichtige Weichen bei dem schwierigen Thema
stellen.