Völlig irre? Die CDU diskutiert über Kanzlerkandidatur Von Jörg Blank, Ruppert Mayr und Marco Hadem, dpa

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus legt sich auf Annegret
Kramp-Karrenbauer als Unions-Kanzlerkandidatin fest. Vielen kommt
diese Diskussion zur Unzeit. Was wollte er damit wohl erreichen?

Berlin (dpa) - Es ist keine Debatte, die Annegret Kramp-Karrenbauer
gefallen kann. Kaum ist die Diskussion über die Patzer der CDU-Chefin
im Umgang mit dem Anti-CDU-Video des Youtubers Rezo und der
Klimadebatte abgeflaut, steht AKK schon wieder im Fokus heftigen
parteiinternen Wirbels. Ist sie die richtige Kanzlerkandidatin für
den Fall einer vorgezogenen Neuwahl womöglich schon im kommenden
Frühjahr - oder wie regulär geplant 2021? Und ganz generell: Wäre
eine Urwahl, also ein Votum der Parteimitglieder, nicht die
transparenteste Lösung zur Bestimmung der oder des Kandidaten?

Die pfingstliche Ruhe ist bei der Union jedenfalls am Dienstag mit
einem Schlag vorbei. Das hat zwei Gründe: Zum einem legt sich
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) in der K-Frage überraschend
früh und deutlich fest. Auf die Frage, ob AKK rasch ins Kabinett
wechseln solle, sagt er der Deutschen Presse-Agentur, die Vorsitzende
habe mit der Neuaufstellung der CDU viel zu tun. «Und sie wird auch
unsere nächste Kanzlerkandidatin sein.» Nicht könnte. Nicht dürfte.

Wird. Den zweiten Grund liefert die ultrakonservative Werte-Union:
Sie fordert eine Urwahl des nächsten Kanzlerkandidaten.

Die Aufregung um die Brinkhaus-Äußerung liegt auch daran, dass sich
die Union angesichts der mächtig wackelnden SPD offensichtlich darauf
verständigt hat, nicht von einem vorzeitigen Ende der regulär bis
2021 dauernden Legislatur zu reden. Zum einen will man vermeiden,
dass CDU und CSU im Fall einer dennoch vorgezogenen Neuwahl im
nächsten Frühjahr als derjenige Partner dasteht, der die Koalition
verlassen hat. Die eigenen Anhänger würden einen solchen Schritt kaum
goutieren, heißt es da. Diesen Schwarzen Peter sollen doch bitte die
Sozialdemokraten als Ballast mit in eine Neuwahl nehmen.

Zum anderen weiß keiner so genau, ob die Grünen bei einer raschen
Neuwahl nicht tatsächlich an der Union vorbeziehen. Zumal die Grünen
in den Umfragen zum Teil sogar deutlich vor der Union liegen - und
selbst CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer einräumt, so richtig
kampagnenfähig für einen Wahlkampf sei man nicht.

«Da werden Karten gemischt, die noch gar nicht auf dem Tisch liegen»,
sagt fassungslos ein wichtiger CDU-Mann, der lieber nicht genannt
werden will, über die K-Diskussion. Also bemühen sich viele, die in
der Union Rang und Namen haben, die Diskussion über den richtigen
Kanzlerkandidaten totzutreten.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, in der Partei als
stellvertretender Vorsitzender hoch angesehen, betont, die CDU-Chefin
habe das Erstzugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur. «Das war immer
so und das bleibt auch so.» Der Chef des Unions-Wirtschaftsflügels,
Carsten Linnemann (CDU), schlägt in die gleiche Kerbe und betont das
Erstzugriffsrecht von Kramp-Karrenbauer.

CDU-Strategen rätseln darüber, was Brinkhaus zu seiner Festlegung
getrieben hat. Er habe AKK bei deren Wahl zur Vorsitzenden ja
unterstützt und wohl die Debatte über ihre Fähigkeiten zu ihren
Gunsten beenden wollen, meinen manche. Von einem verbalen Unfall
reden andere - er habe ihr damit einen Bärendienst erwiesen und die
Debatte über ihre Eignung erst Recht eröffnet.

Andere mutmaßen, Brinkhaus hoffe darauf, dass Kramp-Karrenbauer seine
erneute Kandidatur für die Fraktionsspitze unterstützen werde, wenn
sie erstmal Kanzlerin sei. Zudem habe der Westfale wohl im Hinterkopf
gehabt, dass mit Regierungschef Armin Laschet und Gesundheitsminister
Jens Spahn zwei weitere Nordrhein-Westfalen als Alternativen gelten,
falls AKK doch jemand anderem den Vortritt geben muss - etwa nach
desaströs verlorenen Wahlen im Osten.

Laschet hatte schon über Pfingsten für Schlagzeilen gesorgt, als er
der «Welt am Sonntag» sagte, mit Kramp-Karrenbauers Vorsitzendenwahl
sei noch keine Entscheidung über die nächste Kanzlerkandidatur
verbunden. Zumal sie selbst gesagt habe, diese Frage sei auf dem
Parteitag Ende 2020 zu entscheiden. Manche nahmen das als weiteren
Nadelstich gegen AKK wahr. Laschet gilt etlichen auch deshalb als
möglicher Kanzlerkandidat, weil er den größten CDU-Verband führt.


Auch CSU-Chef Markus Söder sieht derzeit keinen Bedarf für eine
Festlegung bei der Kanzlerkandidatur. «Das entscheiden CDU und CSU zu
gegebener Zeit», antwortet er gebetsmühlenartig auf entsprechende
Fragen. Da er selbst jedoch nach eigener Aussage keinerlei Ambitionen
hat und AKK sehr schätzt, dürfte Söder die Saarländerin unterstüt
zen.
Doch in der CSU halten viele den größten Widersacher von
Kramp-Karrenbauer im Kampf um die CDU-Spitze, Friedrich Merz,
eigentlich für den besseren Kanzlerkandidaten.

Nicht nur Brinkhaus sorgt für Aufregung in der CDU - auch die
ultrakonservative Werte-Union gießt mal wieder Öl ins Feuer. Der Chef
dieser Unions-Splittergruppe, Alexander Mitsch, fordert eine Urwahl
des Kanzlerkandidaten durch die Mitglieder. Viel Rückhalt bekommt
Mitsch dafür allerdings zunächst nicht. In der Union wurde ihm unter
anderem entgegen gehalten, eine solche Mitgliederbefragung sei schon
deshalb nicht so einfach, weil die kleine Schwesterpartei CSU dann
womöglich nicht ausreichend eingebunden werden könnte.

Eine glasklare Meinung zu all dem hat Ex-Unionsfraktionschef
Friedrich Merz parat. Was mache die CDU beispielsweise, wenn es nicht
zwei, sondern drei Kandidaten bei einer Urwahl gebe - und das
Ergebnis nicht eindeutig ausfalle, fragt er rhetorisch am Rande einer
Buchpräsentation in Köln. Und zur Kandidatendebatte hat er nur die
Worte übrig: «Das ist eine völlig irre Diskussion. Punkt.»