Mehr Querschnittlähmungen nach Zulassung von E-Scootern befürchtet Von Jens Albes, dpa

Viele freuen sich, bald auf den kleinen Flitzern mit Elektromotor
herumkurven zu dürfen. Experten verweisen auf eine erhöhte
Unfallgefahr: Einige Rollerfahrer könnten sogar im Rollstuhl enden.
In Koblenz debattieren Fachärzte über Querschnittlähmungen.

Koblenz/Ulm (dpa/lrs) - Nach dem grünen Licht des Bundesrats für
Elektro-Tretroller warnt eine medizinische Fachgesellschaft vor mehr
Unfällen mit Querschnittlähmungen. Es sei mehr Arbeit zu erwarten,
sagte der Erste Vorsitzende der Deutschsprachigen Medizinischen
Gesellschaft für Paraplegiologie (DMGP), Yorck-Bernhard Kalke, der
Deutschen Presse-Agentur. «Ich bin heilfroh, dass E-Tretroller nun
doch nicht auf Bürgersteigen fahren dürfen.» Das könnte noch mehr
schwere Unfälle nach sich ziehen. Vermutlich gebe es ohnehin auch
genug ältere Menschen, die sich jung fühlten, sich jetzt E-Scooter
besorgten und die Gefahren unterschätzen könnten.

Schon der Boom der E-Bikes spiegele sich in einer zunehmenden Zahl
von Querschnittlähmungen wider, sagte der Ärztliche Leiter des
Querschnittgelähmtenzentrums Orthopädische Universitätsklinik Ulm.
«Ich befürchte, dass es noch mehr werden, weil ältere Herrschaften
ihre Geschwindigkeit unterschätzen könnten», ergänzte Kalke, dessen

DMGP vom 22. bis 25. Mai in Koblenz zu ihrer Jahrestagung zu
Querschnittlähmung im Alter zusammenkommt. Allein im Bereich des
bayerischen Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West seien 2018 sechs
E-Bike-Fahrer bei Unfällen getötet und 240 verletzt worden, darunter
zwei mit einer Querschnittlähmung: «Rechnen Sie das mal hoch für ganz

Deutschland!»

Dennoch gibt es laut dem Unfallchirurgen wegen des demografischen
Wandels seit 2010 bundesweit mehr neue krankheits- als unfallbedingte
Querschnittlähmungen - die Deutschen werden älter und im Alter kommen
mehr Krankheiten. An der Uniklinik Ulm zum Beispiel sei das
durchschnittliche Alter der querschnittgelähmten Patienten in den
vergangenen 25 Jahren von etwa 30 auf jetzt rund 60 Jahre gestiegen.
Auch Metastasen (Tochtergeschwülste) bei Krebs, Osteoporose
(Knochenschwund) und Entzündungen könnten zu Querschnittlähmungen
führen. Somit wächst Kalke zufolge auch deren Gesamtzahl. Derzeit
gebe es rund 140 000 Querschnittsgelähmte in Deutschland. Seine
Klinik werde wegen des Andrangs die Bettenzahl von 50 auf 60 erhöhen.

Auch mit dem medizinischen und therapeutischen Fortschritt werden
diese Patienten älter. Der Leiter des Querschnittzentrums im
Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein in Koblenz, Walter Ditscheid,
erklärte: «Dass die Lebenserwartung querschnittgelähmter Menschen
heute fast jener in der Normalbevölkerung gleicht, ist ein großer
Erfolg.» Kalke ergänzte: «Wir haben über 90-jährige Patienten. Ma
nche
sitzen seit mehr als 50 Jahren im Rollstuhl. 98 Jahre ist unser
Altersrekord. In Zukunft werden wir 100-jährige Patienten haben.»

Für die Pflege seien alte entlassene Patienten im Rollstuhl eine
zusätzliche Herausforderung. Hinzu komme die Gefahr von deren
Vereinsamung. «Wir haben einen Stammtisch für Querschnittgelähmte und

ihre Angehörigen ins Leben gerufen, damit sie sich austauschen
können», berichtete Kalke. «Es gibt schon mehrere solche Stammtische

in Deutschland.» Weitere Kliniken für Querschnittgelähmte dächten
ebenfalls über ein solches Angebot nach.