SAP-Personaler sieht Spielraum bei Umsetzung des Arbeitszeit-Urteils

Der Europäische Gerichtshof fordert Arbeitszeiterfassungssysteme für
alle. Für Arbeitgeber wie SAP wäre das eine komplette Umkehr.

Walldorf (dpa) - Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur
Arbeitszeiterfassung könnte für den Softwarekonzern SAP einen
gewaltigen Umbruch bedeuten. Der Dax-Konzern setzt seit seiner
Gründung im Jahr 1972 auf Vertrauensarbeitszeit. «Es gab bei uns
bislang keine Zeiterfassung bis aufs Komma genau», sagte der
langjährige Personalleiter in Deutschland, Wolfgang Fassnacht, der
Deutschen Presse-Agentur. «Das ist tiefer Teil unserer Kultur.»

Der EuGH hatte am Dienstag entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet
werden sollen, die volle Arbeitszeit aller Beschäftigten systematisch
zu erfassen. Die Gewerkschaften begrüßten dies als Schutz vor
unbezahlten Überstunden und Verfügbarkeit rund um die Uhr.
Arbeitgeber warnen vor neuer Bürokratie.

«Wir müssen jetzt abwarten, wie der Gesetzgeber das Urteil umsetzt»,

sagte der Manager weiter. «Nach dem Urteil gibt es bezüglich der
rechtlichen Umsetzung noch relativ großen Gestaltungsspielraum». Es
werde seiner Einschätzung nach ein Jahr dauern, bis der deutsche
Gesetzgeber das Urteil umgesetzt habe.

Für SAP mit seinen gut 40 000 Beschäftigten in Europa wäre die
Arbeitszeiterfassung eine vollständige Kehrtwende. Bei SAP würde man
gern beim Konzept der Vertrauensarbeitszeit bleiben, sagte Fassnacht,
der bei dem Softwarekonzern inzwischen weltweit für Weiterbildung und
Führung zuständig ist. «Die Akzeptanz ist einfach sehr, sehr hoch.»

Die Vertrauensarbeitszeit sei erst jüngst in eine
Betriebsvereinbarung gegossen worden: «Damit haben wir die über 40
Jahre alte Praxis nochmal festgeschrieben.»

«Wir leben von gegenseitigem Vertrauen», sagte Fassnacht weiter. Das
sei ein hohes Kulturgut. «Und ich sehe die Richtlinie, die da kommen
mag, nicht im Zeichen einer Vertrauens-Kultur», so Fassnacht, der bis
2018 das Personalwesen von SAP in ganz Deutschland verantwortet hat:
«Arbeitszeiterfassung ist vom Geist der Kontrolle getragen und nicht
vom Geist des Vertrauens.»

«Bei uns muss sich keiner einen halben Tag Urlaub nehmen, wenn er zum
Arzt muss», erklärte Fassnacht. Das könne man im Rahmen der
Vertrauensarbeitszeit alles regeln. In der Betriebsvereinbarung sei
beispielsweise auch festgehalten, wenn ein Mitarbeiter über einen
längeren Zeitraum mehr Stunden angesammelt habe. «Dann vereinbart man
mit dem Vorgesetzten, wie man das ausgleicht.»

«Wir müssen jetzt abwarten, wie der Gesetzgeber das Urteil umsetzt»,

sagte der Manager weiter. «Nach dem Urteil gibt es bezüglich der
rechtlichen Umsetzung noch relativ großen Gestaltungsspielraum». Es
werde seiner Einschätzung nach ein Jahr dauern, bis der deutsche
Gesetzgeber das Urteil umgesetzt habe.

Eine gesetzliche Vorgabe zur Arbeitszeiterfassung könnte viel
Bürokratie nach sich ziehen, fürchtet Fassnacht. «Da geht es auch um

private Internetnutzung am Arbeitsplatz», sagt er. «Muss ich mich
dann ausstempeln, wenn ich mal privat 10 Minuten etwas mache, zum
Beispiel mit meiner Familie telefoniere? Das würde unserer
Arbeitskultur komplett widersprechen.»