Gute Blume, schlechte Blume: Bienen mögen keine Dahlien Von Sabine Dobel, dpa

Ein fetter Braten. Aber ein Vegetarier wird davor hungrig bleiben.
Ähnlich geht es Wildbienen und anderen Insekten bei manchem
Blühstreifen. Blume ist nicht gleich Blume, erläutern Wissenschaftler
zum Weltbienentag.

München (dpa) - Auf Balkonen und in Vorgärten sprießt es derzeit in
allen Farben, in Gartencentern und Baumärkten greifen Kunden zu
Blühmischungen - nicht zuletzt das bayerische Volksbegehren «Rettet
die Bienen» hat die Menschen aufgerüttelt. Baden-Württemberg plant
bereits ebenfalls ein Volksbegehren, in Nordrhein-Westfalen laufen
Gespräche. Doch vielerorts darben die Insekten weiter, Wildbienen
suchen vergeblich nach Nektar. Nicht alles, was bunt blüht, nährt die
heimischen Insekten, mahnen Wissenschaftler anlässlich des
Weltbienentages am 20. Mai. Die Vereinten Nationen haben den Tag 2018
ins Leben gerufen, um auf mehr Schutz der Bienen zu drängen.

Experten werten das Volksbegehren in Bayern und das geplante
Gesetzespaket als wichtigen Schritt. Sie sehen aber weiter
Handlungsbedarf bei der Landwirtschaft - und geißeln die deutsche
Gründlichkeit mit akkuraten Rasenflächen und unkrautfreien
Grünanlagen. «Ein bisschen mehr Schlamperei täte der Sache nicht
schlecht», sagt Gerhard Haszprunar, Direktor der Zoologischen
Staatssammlung München und Generaldirektor der Staatlichen
Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns. «Es muss nicht immer
alles picobello sein.» Mähroboter, die durch deutsche Gärten surren,

machen selbst Gänseblümchen den Garaus. Übrig bleibe «totes Grün
»,
kaum besser als Steingärten, die gerade in Mode sind.

Auch Kommunen und Kleingartenvereine müssten Anpassungen in ihren
Vorschriften vornehmen. «Viele Bestimmungen sind absolut
kontraproduktiv», sagt Haszprunar. «Lasst das Gift weg, hört auf,
euren Rasen zu düngen und jede Woche zu mähen. Lasst es blühen.»

Das Umdenken ist am Münchner Rathaus angekommen. Oberbürgermeister
Dieter Reiter (SPD) bat das Baureferat, die dortigen Blumenkästen mit
bienenfreundlichen Blumen zu bepflanzen. Nun sprießen dort statt
Geranien unter anderem Mehlsalbei, Löwenmäulchen, Schneeflockenblume,
Wolfsmilch, Leberbalsam und Prachtkerze.

Mehr Natur: Was in Wäldern mit mehr Pflanzenvielfalt, weniger
Eingriffen und Totholz schon stattfindet, müsse nun auf Wiesen,
Feldern und in Gartenanlagen umgesetzt werden, fordern die Experten.

Denn das Ökosystem ist komplex, Tiere und Pflanzen sind teils genau
aufeinander abgestimmt. Manche Wildbienen brauchen eine ganz
bestimmte Blüte, wie Manfred Klein, Leiter des Agrar- und
Waldbereichs beim Bundesamt für Naturschutz (BfN) erläutert. Von rund
560 Arten seien mehr als 41 Prozent in ihrem Bestand gefährdet.
Anders als die Honigbiene als «Hausschwein der Imker», die vom
Menschen gezüchtet, mit Zuckerwasser über den Winter gebracht und mit
Medikamenten gegen Krankheiten geschützt wird, lebt die Wildbiene
nicht in Gemeinschaft - und ist wählerischer bei der Nahrung.

Gerade die allerschönsten Blumen bieten für Bienen und andere
Insekten - mehr als 33 300 Arten sind in Deutschland bekannt - oft
keine Nahrung. «Das sind häufig gefüllte Blüten, bei denen Staub- u
nd
teils auch Fruchtblätter zu Blütenblättern umgewandelt sind», sagt

Andreas Fleischmann von der Botanischen Staatssammlung München. Die
meisten gezüchteten Dahlien, Rosen, Garten-Chrysanthemen und viele
Tulpen und Narzissen hätten zugunsten ihres hübschen Aussehens
zurückgebildete oder keine Staubblätter - und damit keine Pollen und
keinen Nektar.

«Wir reißen den Löwenzahn aus und pflanzen stattdessen eine gefüllt
e
gelbe Dahlie. Weil wir das schön finden. Das hilft aber den Insekten
nichts. Es ist, als würde man uns im Wirtshaus nur das Foto von einem
Schweinsbraten vorsetzen», sagt Fleischmann. «Was die Leute heute oft
als Natur empfinden, ist vom Menschen künstlich gestaltet.» Der
Mensch habe definiert, was Unkraut sei. Jede Pflanze habe aber ihren
Platz.

Bei Blühmischungen gebe es große Unterschiede. Die besten mit vielen
heimischen Samen sind oft teurer und wachsen langsamer als Mischungen
mit einjährigen, fremdländischen Arten. Samen aus Südafrika und
Amerika blühen rasch, helfen vielen hiesigen Insekten aber weniger.
«Sie können das nicht verwerten. Unsere heimischen Insekten passen zu
unseren heimischen Pflanzen wie ein Schlüssel zum Schloss», sagt
Fleischmann.

Klein nennt Blühstreifen an Feldrändern «einen Tropfen auf den heiß
en
Stein». Sie seien fast unnütz, wenn auf allen umgebenden Feldern
weiter Pflanzenschutzmittel ausgebracht würden. «Was in der Breite
fehlt, sind blütenreiche Wiesen und mehrjährige Brachflächen, auf
denen drei oder fünf Jahre nichts passiert.»

Das Hauptproblem bleibt den Wissenschaftlern zufolge die intensive
Landwirtschaft. 44 Prozent der Fläche Bayerns sind landwirtschaftlich
genutzt, etwa 6 Prozent dürften öffentliche und private Grünflächen

und Gärten sein. Teils sind die Städte schon fast Biotope. In München

ist laut Haszprunar nach Hochrechnungen die Insektendichte pro
Flächeneinheit doppelt so hoch wie im landwirtschaftlich geprägten
Umland.

Bauern sollten Grünland optimalerweise nicht fünf- oder siebenmal
mähen, sondern nur ein- bis zweimal, fordern die Wissenschaftler. Mit
starker Düngung sinke zudem die Artenvielfalt bei den Pflanzen - und
damit bei den Insekten. Hier müsse die Bundesregierung tätig werden,
und die EU müsse bei der nächsten Reform der europäischen
Agrarpolitik ab 2020 Lenkungsinstrumente entwickeln, fordert Klein.

«Die Bauern sind Opfertäter», sagt Haszprunar. «Sie sind Täter, d
enn
sie machen viele Dinge falsch. Sie sind zugleich Opfer einer völlig
verfehlten Agrarpolitik auf EU- und auf Bundesebene. Sie können zum
Teil aus wirtschaftlichen Zwängen nur das Falsche tun.» Die Politik
sei gefordert, aber auch der Konsument. In Österreich böten bessere
Restaurants nur noch Speisen aus ökologischer Herstellung an. «Es ist
eine Frage breiter gesellschaftlicher Akzeptanz. Das muss sich jetzt
verfestigen, damit es nicht ein Hype bleibt.»

Erst einmal geht es im Südwesten weiter: Just am Sonntag sollte in
Baden-Württemberg die Unterschriftensammlung für das geplante
Volksbegehren beginnen.