Drogenanbau im Dienste der Medizin Von André Klohn, dpa

Seit 2017 können Patienten sich Cannabis zu medizinischen Zwecken
regulär beim Arzt verschreiben lassen können. Von 2020 an will eine
Firma das Mittel im Auftrag des Bundes mitten in Schleswig-Holstein
anbauen - hinter dicken Mauern.

Neumünster (dpa) - Noch wirkt die Anlage am Rande eines
Gewerbegebiets von Neumünster wie der Rohbau einer schlichten
Lagerhalle. Nichts deutet darauf hin, was dort künftig verborgen
hinter 24 Zentimeter dicken Stahlbetonwänden wachsen soll. Im Auftrag
des Bundes will die Aphria Deutschland GmbH aus Bad Bramstedt im
Kreis Segeberg hier das erste in Deutschland angebaute medizinische
Cannabis ernten - unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. «Sie sind
ähnlich hoch wie beim Tresorraum einer Bank», sagt Geschäftsführer

Hendrik Knopp.

Seit März 2017 können sich deutsche Patienten medizinisches Cannabis
regulär beim Arzt verschreiben lassen. Wie Cannabis wirkt, ist lange
bekannt. Es kann etwa Spastiken bei Multipler Sklerose oder
chronische Schmerzen lindern. Teils aber ist die medizinische Wirkung
nur gering belegt, so bei Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapien
oder beim Tourette-Syndrom, wie die Bundesärztekammer betont.

Bislang werden Cannabis-Blüten für medizinische Zwecke aus dem
Ausland importiert, unter anderem vom kanadischen Mutterunternehmen
der Firma aus Schleswig-Holstein. Im Herbst soll der Rohbau des
Gewächshauses in Neumünster fertiggestellt sein. Das
Investitionsvolumen liegt nach Unternehmensangaben im zweistelligen
Millionenbereich.

Mitte April hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte bekanntgegeben, dass Aphria und ein Berliner
Unternehmen in Deutschland zusammen künftig mehrere Tonnen Cannabis
für medizinische Zwecke anbauen dürfen. In Schleswig-Holstein ist
vier Jahre lang zunächst der Anbau von jährlich 800 Kilogramm
erlaubt. Weitere 200 Kilogramm könnten nach einer gerichtlichen
Klärung noch hinzukommen.

Das Berliner Cannabis-Unternehmen Aurora Produktions GmbH erhielt den
Zuschlag für den Anbau von einer Tonne pro Jahr und über einen
Zeitraum von vier Jahren. Die Ausschreibung umfasste insgesamt 10,4
Tonnen Cannabis in pharmazeutischer Qualität. Von den 13 Losen - wie
die Teilmengen genannt werden - konnten vier nicht vergeben werden,
weil ein unterlegener Bieter eine Nachprüfung beantragt hat.

In Neumünster soll Ende 2020 die erste Ernte einfahren werden.
«Unsere Pflanzen werden aber nicht ein einziges Mal das Sonnenlicht
sehen», sagt Knopp. Sie sollen in verschiedenen Kammern der mehr als
6000 Quadratmeter großen Indoor-Produktionsanlage einen
Schnelldurchlauf absolvieren. Möglich macht dies aufwendige Technik.
Sie wird die Luft drinnen 90 Mal pro Stunde komplett austauschen, bei
konstant 23 Grad Celsius halten und maximal 55 Prozent
Luftfeuchtigkeit sicherstellen.

Die Mitarbeiter brauchen unter den extrem hellen Lampen des
Gewächshauses starke Sonnenbrillen. Durch die guten
Wachstumsbedingungen soll es im Schnitt nur zehn bis elf Wochen
dauern, bis die Blüten geerntet werden. In der Natur schaffen die
Pflanzen dies nur einmal pro Jahr. «Wir erreichen in dieser Anlage
fünf bis sechs Ernten pro Jahr», sagt Knopp. «Das schaffen wir, indem

wir den Tag-Nacht-Zyklus verkürzen.»

Aphria muss wegen möglicher genetischer Veränderungen der Pflanzen
und strenger Vorgaben des Bundesamts jede Charge überprüfen. «Denn
der Gehalt der Wirkstoffe Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol
(CBD) darf bei unserer Ware nur um bis zu zehn Prozent schwanken»,
sagt Knopp. Beide Gehalte sind bei medizinischem Cannabis konstant
und variieren nicht so stark wie illegale Produkte im Straßenverkauf.
In der Apotheke kostet das Gramm aktuell mehr als 20 Euro. «Die
weltweiten Produktionspreise liegen zwischen drei und sechs Euro»,
sagt Knopp. Nähere Angaben macht er nicht.

Die Sicherheitsvorgaben für den Cannabisanbau sind groß. Um und auch
unter der Anlage registrieren Detektoren und Sensoren, wenn sich
Unbefugte nähern. «Drinnen gilt das Vier-Augen-Prinzip», sagt Knopp.

«Niemand darf alleine in einem der Räume sein.» Fast überall seien

Kameras. «Es geht nichts aus dieser Anlage raus.» Nicht verarbeitetes
Material wird in einem speziellen Brennofen landen.

Neumünsters Oberbürgermeister Olaf Tauras (CDU) freut sich über die
Ansiedlung des Unternehmens und die wichtige Schaffung von
Arbeitsplätzen in der Stadt. Landeswirtschaftsminister Bernd Buchholz
(FDP) spricht gar von einem «großen Glücksfall für den Wirtschafts-

und Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein». Aphria gebe der
Pharma-Branche mit knapp 6000 Beschäftigten im Land weiteren
Auftrieb.

Parallel zum Cannabis-Anbau in Neumünster soll in Bad Bramstedt im
Kreis Segeberg ein sogenannter Tresor entstehen. Dort will das
Unternehmen medizinisches Cannabis aus Kanada importieren und
zwischenlagern. Die Mutterfirma baut nicht nur drei verschiedene
Sorten an wie in Neumünster geplant, sondern mehr als zwei Dutzend.
Auch sie kommen bei Therapien zum Einsatz.