Von wegen retro: Wie beliebt Indiaca, Inliner und Frisbee sind Von Marco Krefting, dpa

Der Frühsommer ist da, Parks sind nach Feierabend und an Wochenenden
gefüllt. Häufig zu sehen: durch die Luft fliegende Indiaca-Bälle
und
Frisbeescheiben sowie daherdüsende Inlineskater. Auch wenn es anders
anmutet - Experten erklären, warum hier kein Retrotrend lauert.

Gefrees/Stutensee (dpa) - Irgendwo unten im Keller oder in der Garage
schlummert sie: eine Kiste mit alten Spielsachen. Teils verstaubt.
Teils vergilbt nach unzähligen Einsätzen unter Sommerurlaubssonne.
Vielleicht sind darunter noch Förmchen für den Sandkasten. Vermutlich
auch Klassiker wie ein Fußball, dem inzwischen die Luft entwichen
ist, sodass wie bei seinem Besitzer die Haut heute von Falten und
Dellen gezeichnet ist. Dort harren aber auch Habseligkeiten aus, die
einst mit einer Mischung aus Exotik und Exklusivität zu den ganz
besonderen Freizeitutensilien zählten - und die heute einen
vermeintlichen Retrotrend erleben. Doch waren sie je wirklich weg?

INDIACA: Der gelbe Knautschball mit langen roten Federn weckt wohl
bei vielen nostalgische Erinnerungen. Dabei ist der Indiaca-Sport
beliebt wie eh und je, es gibt sogar eine Deutsche Indiaca Liga.
Deren Staffelleiter Markus Ruckdäschel aus Gefrees sagt: «In den 70er

Jahren war es sogar Trimmgerät des Jahres.» Seit den 1930er Jahren
ist die Sportart, entdeckt in Brasilien, vor allem im Christlichen
Verein Junger Menschen (CVJM) en vogue; das merkt man an vielen
Mannschaftsnamen. Seit den 1970ern gebe es Meisterschaften auf
regionaler und Landesebene, aber auch bundesweit. Ebenfalls vertreten
ist Indiaca im Deutschen Turnerbund.

Allerdings spricht Ruckdäschel von einer «Randsportart ohne jegliche
Sponsoren». Um bei der Weltmeisterschaft in Japan vor zwei Jahren
teilnehmen zu können, hätten viele Spieler ihren Urlaub und viel Ge
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investiert. «Die Leute, die das machen, sind mit Herzblut dabei.»

Als lobendes Beispiel vor allem mit Blick auf die Rekrutierung von
Nachwuchs nennt Ruckdäschel die TSG Blankenloch aus Stutensee bei
Karlsruhe. Sie könne mit mehreren Mannschaften zu Turnieren reisen.
Verantwortlich dafür ist Werner Hemberle, der hier seit 15 Jahren
Indiaca anbietet. «Innerhalb kürzester Zeit hatten wir unglaublichen
Zulauf.» Inzwischen spielen rund 65 Sportler in der TSG mit. An
drei Tagen in der Woche wird trainiert, die meisten betrachteten es
als Leistungssport. 22 Mal haben sie die Deutsche Meisterschaft im
Jugend- oder Seniorenbereich gewonnen. «Das Geheimnis ist, dass alle
ein Team sind», sagt Hemberle. «Am Anfang wurde es belächelt als
Affentennis», erinnert er sich. Heute sagt er stolz und mit etwas
Pathos: «Wir haben da einen Trend entdeckt, den gilt es zu bewahren.»


INLINER: Längst aus dem Winterschlaf erwacht sind Inlineskater. Auf
geteerten Wegen rund um Talsperren oder im ein oder anderen Forst
machen sie Radfahrern, Skateboardern und Spaziergängern Konkurrenz.
«Bei Inlineskates verzeichnen wir in diesem Frühjahr erfreuliche
Umsatzzuwächse», sagt der Senior-Einkäufer strategische Marken bei
Intersport Deutschland, Uwe Poppe. Das habe vor allem am warmen März
gelegen. «Individualisierung mit Umbaumöglichkeiten von vier auf drei
Rollen oder auch neue Bremssysteme sind ein Zeichen dafür, dass der
Markt lebt und Innovationen bringt», sagt Poppe.

Von der Begeisterung für Inliner und auch klassische Rollschuhe
zeugen ebenso Veranstaltungen wie die Blade Night in München, bei der
auf Straßen in der Innenstadt gefahren werden darf. Ab 13. Mai werden
dafür an 18 Montagen im Sommer für rund anderthalb Stunden extra
Straßen gesperrt. Dass der Hype kein neuer ist, belegt die Tatsache,
dass die Veranstalter in diesem Jahr - nach zwei Jahren Pause mangels
Hauptsponsor - 20-jähriges Jubiläum feiern. Die nötige finanzielle
Unterstützung kommt nun vom Hersteller K2.

Wenn es eher um den Funfaktor geht, gibt es auch extra Rollerdiscos.
Und für die sportlich Motivierten beispielsweise Inlinehockey,
spezielle Inline-Alpin- und -Downhill-Rennen sowie Roller Derby - ein
Vollkontaktsport auf Rollschuhen mit zig Mannschaften in Deutschland.

FRISBEE: Auf Wachstumsraten von im Schnitt 12 bis 13 Prozent in den
vergangenen Jahren blickt der Deutsche Frisbeesport-Verband zurück.
Dabei betont Geschäftsführer Jörg Benner: «Wir müssen natürli
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unterschieden zwischen dem Hin- und Herwerfen von Frisbees im Park
oder im Schwimmbad, was ein reines Freizeitvergnügen ist, und dem
organisierten Sport.» Der Verband hat demnach gut 7000 registrierte
Mitglieder über acht Landesverbände und mehr als 160 Vereine
bundesweit; davon seien etwa ein Sechstel reine Frisbeesport-Vereine.

Allein zehn Frisbeesportarten zählt der Verband auf seiner Homepage
auf. Dabei wird sogar an vierbeinige Begleiter gedacht: Disc-Dogging
wird als eine Art Freestyle-Kür zwischen Hund und Mensch beworben,
die in den USA schon seit fast 30 Jahren bestehe und in Deutschland
seit 1997 immer beliebter werde. Knapp drei Viertel der Sportler
spielten aber Ultimate Frisbee, ein Laufsport mit zwei Endzonen, so
Benner. Rund ein Viertel spiele den Präzisionssport Disc Golf, bei
dem nach Golfregeln ein Parcours bewältigt werden muss. Dabei gebe es
eine nicht unerhebliche «Dunkelziffer» an Ultimate-Spielenden alleine
durch den Schulsport und an Disc-Golfern, die auf den meisten der
rund 120 Parcours bundesweit kostenfrei spielen könnten.

Dass man auch hier keineswegs von einem Retrotrend sprechen kann,
belegt unter anderem die U24-Ultimate-Weltmeisterschaft. Vom 13. bis
20. Juli werden in Heidelberg 51 Teams aus 29 Nationen mit rund 1200
Teilnehmern in den Spielklassen Frauen, Männer und Mixed erwartet.
«Ultimate ist World-Games-Disziplin seit 2001, Freestyle Disc findet
in diesem Jahr bei der Erstausgabe der «World Urban Games» in
Budapest statt», sagt Benner. Der Flugscheiben-Weltverband WFDF sei
seit 2015 durch das Internationale Olympische Komitee anerkannt.

DARÜBER HINAUS gibt es noch eine Menge vergleichbarer Spielzeuge mit
Sportcharakter. Klettbälle, Hula-Hoop-Reifen und Gummitwist etwa
zählten zu den Klassikern, wie Clara Röder vom Händler Hudora aus
Remscheid erklärt. Sie seien in den vergangenen Jahren niemals «out
»
gewesen. Einzig Jonglierfreunde müssen Haltung wahren: Die Hochphase
für das Diabolo liegt laut Röder weit vor den 1990er Jahren. Sie
formuliert es so: «Seitdem ist es ein Dauerläufer (-brenner wäre
zuviel gesagt) und phasenweise stärker - aber nie «der Trend».»