«Manchmal wie Wunderheilung»: Erfolge bei der Schlaganfall-Hilfe Von Ulrike von Leszczynski, dpa

Noch vor 30 Jahren konnte ein Schlaganfall das Ende sein. Daran hat
sich viel geändert. Noch immer aber zählt jede Minute. Es gibt viele
Projekte, wie Hilfe noch schneller kommen kann.

Berlin (dpa) - Sprachstörungen, Doppelbilder, halbseitige Lähmungen
in Armen und Beinen - noch in den 1980er Jahren konnten solche
Symptome für einen schweren Schlaganfall ein Todesurteil sein. Neue
OP-Methoden und Spezialabteilungen in Kliniken haben viele
Fortschritte gebracht. Aufklärung und Prävention aber kann es immer
noch nicht genug geben. Eine Übersicht zum Tag gegen Schlaganfall am
10. Mai:

STATISTIK: Nach Angaben der Deutschen Schlaganfall-Hilfe trifft in
Deutschland jedes Jahr rund 270 000 Menschen «der Schlag». Dabei
kommt es zu einer Durchblutungsstörung des Gehirns, weil in der Regel
ein Hindernis in der Blutbahn die Arterien verstopft. Dann droht eine
Unterversorgung der Hirnzellen mit Sauerstoff. «25 Prozent der Fälle
gelten als leichte Schlaganfälle», sagt Wolf-Rüdiger Schäbitz,
Sprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft. Diese Patienten
hätten keine Ausfälle oder Behinderungen. Bei mittleren bis
schwereren Schlaganfällen müssten Ärzte aber mit dem vollen Spektrum

an Defiziten rechnen - von leicht bis schwer. «Rund 25 Prozent der
Patienten mit einem schweren Schlaganfall sterben noch immer.» Je
älter ein Patient ist, desto ungünstiger seien seine Chancen auf
Regeneration und Erholung. Insgesamt sind die Sterbefälle nach
Angaben des Statistischen Bundesamtes trotz alternder Bevölkerung
aber deutlich gesunken - von rund 75 000 Menschen im Jahr 1998 auf
rund 51 000 Tote nach den jüngsten Zahlen für 2016.

THERAPIEN: «Im Vergleich zum Ende der 1980er Jahre ist die
Entwicklung unglaublich», sagt Schäbitz, Neurologe am Evangelischen
Krankenhaus Bielefeld Bethel. «Damals war ein schwerer Schlaganfall
entweder ein Todesurteil oder ein Mensch wurde zwangsläufig zum
Pflegefall.» Ärzte hätten kaum etwas tun können. Dann kamen
Medikamente auf den Markt, die Blutgerinnsel auflösen können. «Dafü
r
gibt es heute ein Zeitfenster von rund 4,5 Stunden», berichtet
Schäbitz. Seit rund fünf Jahren würden auch Katheter eingesetzt,
kleine Röhrchen, die in die Arterien geschoben werden. «Mit ihrer
Hilfe können Spezialisten Blutgerinnsel wie mit einem Fangkörbchen
aus der Blutbahn ziehen», ergänzt er. «Das kann in ausgewählten
Fällen sogar noch bis zu 24 Stunden nach einem Schlaganfall sinnvoll
sein.» In Deutschland gebe es diese Methode seit rund zwei Jahren
flächendeckend. «Gemessen an den Therapie-Effekten halte ich das im
neurologischen Bereich für einen der größten Fortschritte der
vergangenen Jahre», ergänzt er. «Da ist manchmal selbst ein
erfahrener Arzt erstaunt und glaubt an so etwas wie Wunderheilung.»
Denn manchmal stünden schwerst beeinträchtigte Patienten in der
Klinik wieder auf und gingen zu Fuß nach Hause. «Aber das ist nicht
die Regel. Es kommt immer darauf an, welche Hirnareale wie schwer
getroffen wurden», schränkt Schäbitz ein.

STROKE UNITS: Das sind in Kliniken Spezialabteilungen für
Schlaganfall-Patienten. Nach Angaben der Schlaganfall-Gesellschaft
gibt es bundesweit 328 zertifizierte Zentren bundesweit. Das seien
fast 30 mehr als noch vor zwei Jahren. Ein Drittel arbeite
überregional mit einem großen Leistungsspektrum. Das alles reduziert
Zeit, bis eine Behandlung beginnen kann. «Wir sagen: Time is brain»,
sagt Sprecher Schäbitz. Je weniger Zeit verloren gehe, desto größer
ist die Wahrscheinlichkeit, Hirnmasse bei einem Patienten zu retten.
Damit verbessere sich auch später seine Lebensqualität. Auch
Telemedizin helfe dabei. Über Videokonferenzen unterstützten Experten
aus städtischen Gebieten die Kollegen im ländlichen Raum rund um die
Uhr mit ihrem Expertenwissen - etwa in Bayern und Rheinland-Pfalz.
Das ermögliche eine zeitnahe Diagnose und Therapie.

STROKE MOBILE: Das sind Krankenwagen mit einem eingebauten mobilen
Computertomographen (CT). «Der Vorteil ist, dass ein solches Mobil
direkt zum Patienten vor die Haustür fahren kann», sagt Mediziner
Schäbitz. Im Mobil könne ein CT-Bild sofort zeigen, ob das ein
ischämischer Schlaganfall sei. Dann könne der Versuch, das
Blutgerinnsel mit Hilfe von Medikamenten aufzulösen, schon im Mobil
beginnen. «Das ist meist deutlich schneller als wenn ein Patient erst
in eine Klinik gefahren werden muss.» Die neurologischen Defizite
seien dadurch später eindeutig geringer. «Anfangs wurden Stroke
Mobile belächelt, inzwischen ist ihr Nutzen in Studien erwiesen»,
sagt Schäbitz. Außer im Testgebiet Berlin und im Saarland seien sie
aber noch nicht sehr verbreitet. «Der Einsatz lohnt sich vor allem in
Regionen mit wenig medizinischer Infrastruktur.» Doch es sei vor
allem eine Kostenfrage. «Es geht nicht nur um das Mobil und die
Technik. Es muss auch immer ein Arzt verfügbar sein, der eine
Rettungsausbildung hat und auf Schlaganfälle spezialisiert ist.»
Bayern testet im ländlichen Raum noch eine andere Idee: Hier fliegen
Ärzte mit dem Hubschrauber zu Schlaganfall-Patienten.

PRÄVENTION: Der jüngste Herzbericht schildert für Bremen, dass in
sozial schwachen Stadtteilen mit Blick auf
Herz-Kreislauf-Erkrankungen besondere Anstrengungen nötig sind. Auch,
weil das Risikoverhalten wie Rauchen und Übergewicht ausgeprägter
ist. Auch beim Thema Schlaganfall sieht die Fachgesellschaft Chancen.
«Es gibt jetzt schon viele Info-Veranstaltungen. Da kommen aber
häufiger die Menschen hin, die ohnehin auf ihre Gesundheit achten»,
sagt Sprecher Schäbitz. Die, die es nötig hätten, kämen eher nicht.

«Wenn es möglich wäre, sozial schwache Bevölkerungsgruppen gezielte
r
über Risiken für Schlaganfälle und Symptome aufzuklären, ist das
sicher sinnvoller als ein Gießkannen-Prinzip.»