Boehringer-Managerin: Zeit der großen «Blockbuster» vorbei

Individualisierte Krebstherapien, Biopharmazeutika und Tiermedizin -
das sind die großen Themen, auf die die neue Deutschland-Chefin von
Boehringer Ingelheim setzt. Sabine Nikolaus hat große Ziele.

Ingelheim (dpa) - Der Fokus der Medizin wird künftig nach
Einschätzung der neuen Deutschland-Chefin von Boehringer Ingelheim
auf individualisierten Therapien liegen. Der Trend gehe in Richtung
differenzierterer Ansätze, sagte Sabine Nikolaus der Deutschen
Presse-Agentur in Mainz. Krebserkrankungen etwa würden immer
«tumorspezifischer» und exakter auf den einzelnen Patienten
abgestimmt bekämpft. Das heiße auch, dass es anders als in der
Vergangenheit nicht mehr die Medikamente geben werde, die bei einer
großen Masse von Kranken einheitlich verwendet würden. «Die Zeit der

großen Blockbuster wird die Zukunft nicht mehr sein.»

An diesem Mittwoch (17.4.) stellt Boehringer Ingelheim auf einer
Pressekonferenz die Bilanz 2018 vor. Nikolaus ist seit Jahresanfang
Nachfolgerin des langjährigen Boehringer-Landesleiters Stefan Rinn.

Angesichts des Trends zu immer individuelleren Therapien in der
Medizin hält sie Änderungen im Gesundheitssystem für nötig. «Im
Moment steht der Preis eines Arzneimittels im Zentrum», sagte
Nikolaus. Ganz häufig sei der aber entkoppelt vom eigentlichen
Nutzen.

«Wenn Sie mit einem Medikament die Einweisung in ein Krankenhaus
hinauszögern oder einen Mensch länger gesund halten können, dann ist

das ein Wert an sich, der momentan noch recht wenig berücksichtigt
wird», sagte Nikolaus. Sie rede bewusst nicht vom Preis eines
Arzneimittels, sondern vom Wert eines Arzneimittels. Sondern: «Wir
brauchen eher volkswirtschaftlich integrativere Betrachtungen von
Arzneimittel-Therapien.»

Noch mehr an Bedeutung gewinnen nach Einschätzung von Nikolaus auch
Biopharmazeutika - also Arzneimittel, die aus lebenden Organismen
gewonnen werden. «Der Trend geht zu großen biopharmazeutischen
Molekülen. Das ist der Grund, warum wir dort in der Forschung und
Entwicklung investieren», sagte sie. Nach Angaben der
Beratungsgesellschaft EY war der Umsatz mit Biopharmazeutika in
Deutschland 2017 um acht Prozent auf den Rekordwert von vier
Milliarden Euro gestiegen.

Boehringer stärke gezielt seine biopharmazeutische Eigenproduktion -
vor allem in Mittel gegen Magen-Darm- sowie Lungenkrebs. Bislang
macht in der Biologika-Produktion die Herstellung im Auftrag von
Drittfirmen einen beträchtlichen Teil aus. In der
Boehringer-Produktpalette stehen Biopharmazeutika Nikolaus zufolge
für 40 Prozent - Tendenz steigend. 2018 übernahmen die Ingelheimer
das Biopharma-Unternehmen Viratherapeutics aus Innsbruck.

Große Bedeutung misst Nikolaus zudem Forschungskooperationen bei.
«Das ist ein Weg der Zukunft», sagte sie. Auch deswegen habe
Boehringer eine Substanz-Datenbank erstellt, über die interessierte
Forschende Substanzen bestellen könnten. Gerade in der Krebstherapie
brauche es Kombinationen von Wirkmechanismen, um die Krankheit
erfolgreich bekämpfen zu können. Klar sei trotz aller Digitalisierung
und neuer technischer Möglichkeiten: «Arzneistoffforschung ist ein
Hochrisikogeschäft und wird das auch bleiben. Da dürfen wir uns
nichts vormachen.»

Ein großes Augenmerk legt Boehringer auch auf das Geschäft mit
Tiermedizin. 2017 wurde die entsprechende Sanofi-Sparte Merial
erworben, dafür das eigene Geschäft mit verschreibungsfreien Mitteln
zur Selbstmedikation an die Franzosen abgegeben. Man sei weltweit zur
Nummer zwei in der Tiermedizin geworden. Weltmarktführer ist der
US-Tiergesundheitskonzern Zoetis.

Potenzial sieht Nikolaus etwa im Nutztierbereich. Wichtig seien etwa
Impfstoffe und Methoden, um kranke Tiere frühzeitig zu erkennen, zum
Beispiel, wenn Tiere andere Laute von sich geben. Firmen arbeiten
beispielsweise an Algorithmen, die Tierlaute im Stall analysieren und
bei Anomalitäten ein Signal geben. Boehringer forscht in seinem
digitalen Labor «BI X» in Ingelheim an Lösungen mit künstlicher
Intelligenz.