Franz Müntefering: Engagement im Alter stärken Von Basil Wegener, dpa

Er brachte die Rente mit 67 auf den Weg - und verteidigt die
ungeliebte Reform auch in der heutigen Debatte. Doch eigentlich hält
Franz Müntefering das feste Rentenalter für einen kulturellen Irrtum.

Berlin (dpa) - Der frühere SPD-Sozialminister und Wegbereiter der
Rente mit 67, Franz Müntefering, fordert mehr Anerkennung von Arbeit
und Engagement über das Rentenalter hinaus. Die Rente mit 67
verteidigte Müntefering gegen Kritik - aber auch gegen Forderungen
nach noch längerem Arbeiten. Grundsätzlich sei das einheitliche
Renteneintrittsalter aber «ein kultureller Irrtum», sagte der
79-Jährige der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Die Menschen
dürfen nicht den Eindruck haben, dass man sie nicht mehr braucht.»

Müntefering, der Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Senioren-Organisationen ist, forderte, die Verantwortung der Menschen
in der Gesellschaft auch über das Renteneintrittsalter hinaus stärker
in den Blick zu nehmen - «sei es nun 65 oder 67».

Wie es künftig mit der Rente weitergeht, ist derzeit Gegenstand von
Beratungen einer Rentenkommission der Regierung, die im März 2020
ihren Bericht vorlegen will. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will
auf dieser Basis noch in der laufenden Wahlperiode erste Schritte zur
dauerhaften Sicherung der Rente einleiten.

Angesichts des demografischen Drucks auf die Rente wird derzeit auch
immer wieder debattiert, das Rentenalter an die im Schnitt längere
Lebensdauer zu koppeln. So hatte Gesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) am Montag im «Bild»-Talk gesagt, «dass wenn wir länger lebe
n
werden, wir auch länger arbeiten werden müssen».

Müntefering hielt dem entgegen: «An der Rente mit 67 würde ich im
Moment nichts mehr verändern.» Solche Forderungen ließen außer
Betracht, dass die Menschen verschieden seien und unterschiedlich
lange arbeiten könnten. Als Sozialminister der ersten großen
Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte der SPD-Politiker
die Anhebung des Rentenalters auf den Weg gebracht.

«Für die Rente 67 habe ich damals viel Kritik bekommen, auch heute
noch von manchen», sagte Müntefering. «Aber es war aus meiner Sicht
ein richtiger und mutiger Schritt.» Denn man müsse «die lange Strecke

sehen» und bei der Rente unterschiedliche Interessen der Generationen
berücksichtigen.

EINHEITLICHER RENTENEINTRITT - EINE FIKTION?

Als «Fiktion» jenseits der realen Lebensumstände von Millionen
Menschen betrachtet Müntefering aber das einheitliche Rentenalter.
«Bevor es die Rente gab, gab es auch kein Renteneintrittsalter»,
sagte er. «Da musste jeder seinen Teil beitragen, solange er lebte.
Indem er die Kinder betreute, Kartoffeln schälte, Unkraut rupfte oder
das Vieh wieder hereinbrachte.» Heute habe sich die Annahme
breitgemacht, dass es einen bestimmten Tag gibt, an dem man
ausscheiden müsse. «Aber die Leistungsfähigkeit der Menschen ist
unterschiedlich, die Belastungen durch die Arbeitsbedingungen sind es
auch.» Realistisch sei hingegen «eine Renteneintrittsphase, die dies
gerecht berücksichtigt».

ALTER, ARBEIT UND ENGAGEMENT

Tatsächlich gehen die Bundesbürger faktisch immer später in Rente.
Wie aus dem dritten Regierungsbericht zur Anhebung der
Regelaltersgrenze auf 67 Jahre hervorgeht, waren 2017 immerhin 58
Prozent der 60- bis 64-Jährigen erwerbstätig - im Jahr 2000 waren es
nur rund 20 Prozent. Mit der Flexirente schuf die vergangene
Regierung Möglichkeiten, schon mit 63 in Rente zu gehen und durch
Ausgleichszahlungen Abschläge zu vermeiden. Die Nachfrage bei den
offiziellen Rentenberatern nach den Möglichkeiten ist rege. Aber auch
längeres Arbeiten soll sich mehr lohnen.

Müntefering betonte, viele seien auch mit mehr als 65 Jahren weiter
tätig, andere im Ehrenamt oder im zivilgesellschaftlichen Engagement.
Manche müssten zusätzlich Geld verdienen. «Aber die meisten wollen
noch etwas machen oder leisten - und nicht schlagartig aufhören.»
Viele engagierten sich in der Pflege oder im palliativen Bereich.
Auch kleinere Arbeiten seien für viele sinnvoll. Dies alles müsse
stärker unterstützt werden.

Konkret forderte Müntefering mehr Anerkennung von Pflege zuhause.
«Wenn jemand zuhause pflegt und seinen Beruf zeitweise dafür aufgibt,
sollte das besser als bisher als Arbeitszeit anerkannt werden, für
die man auch Geld und einen höheren Rentenanspruch bekommt», sagte
er. «Gut wäre es, wenn man etwas auf die Rente obendrauf bekommt,
wenn jemand, der schon in Rente ist, seinen Partner oder seine
Partnerin pflegt.»