Der Bildhauer mit Parkinson Von Christoph Driessen, dpa

Vor acht Jahren bekam Sebastian Wien die Diagnose Parkinson. Dennoch
erschafft er immer noch filigrane Stahlskulpturen. Der Dortmunder
Bildhauer ist fest davon überzeugt, dass seine künstlerische Arbeit
für ihn auch einen medizinischen Nutzen hat.

Dortmund (dpa) - Sebastian Wien ist Bildhauer. Und Parkinson-Patient.
Gerade hat er erzählt, dass seine Kunst inhaltlich nicht viel mit der
Krankheit zu tun habe. Aber dann fällt sein Blick auf eines seiner
Werke, ein abstraktes Muster auf einer Metallplatte. «Das sieht aus
wie ein Bild von einem Nervengeflecht aus einem
Raster-Elektronenmikroskop», meint er nachdenklich. «Mikrostrukturen
im Gehirn, die ich da quasi als Makrostrukturen auf Metall bringe.
Das ist mir vorher gar nicht aufgefallen.»

Gut acht Jahre ist es jetzt her, dass der Dortmunder Künstler die
Diagnose Parkinson erhielt. So wie immer mehr Menschen. In
Deutschland sind verschiedenen Schätzungen zufolge zwischen 200 000
und 400 000 Menschen erkrankt. Weltweit habe sich die Zahl der
Patienten von 2,5 Millionen im Jahr 1990 um das Zweieinhalbfache auf
über sechs Millionen im Jahr 2016 erhöht, teilt die Deutsche
Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen zum
Welt-Parkinson-Tag am 11. April mit. Hauptursache dafür sei, dass die
Menschen immer älter würden. Ob zusätzlich Umweltfaktoren eine groß
e
Rolle spielen, ist unklar - einige Forscher gehen davon aus.

Im Schnitt sind Patienten 60 Jahre alt, wenn die Krankheit bei ihnen
festgestellt wird. Wien war allerdings noch keine 50. Die Nachricht
schockierte ihn. «So eine Diagnose stellt ja erst einmal die ganze
Lebensplanung auf den Kopf», erzählt der ruhige, schlanke Mann in
seinem Atelier. «Parkinson ist zwar nicht tödlich, aber es ist eine
starke Beeinträchtigung und nicht aufhaltbar.» Die Krankheit lässt
Nervenzellen im Gehirn nach und nach absterben. «Es ist nicht zu
verzögern, geschweige denn zu heilen. Man kann nur die Symptome
lindern.» Einer seiner ersten Gedanken war: «Da werde ich nicht mehr
lange arbeiten können.»

Denn Wien benötigt für seine Arbeit sowohl Kraft als auch
Fingerspitzengefühl: Er erschafft abstrakte Stahlskulpturen. Viele
sind von beachtlicher Größe - und doch wirken sie filigran und
leicht, scheinen zu schweben. Manche balancieren nur auf einem Punkt.
Eine Besonderheit ist die Oberfläche - sie ist anders als man es bei
Stahl erwarten würde: glatt und anschmiegsam, warm, fast lebendig.

Diese Wirkung ist nur durch einen langen Bearbeitungsprozess zu
erzielen. Schleifen, schweißen, schneiden - das ist Wiens tägliche
Arbeit im Atelier. «Dazu kommt das Patinieren, Rosten, Einpinseln,
Betupfen mit dem Schwamm. Wenn's da um die Ecken geht, dann wird's
ein bisschen schwieriger für mich.» Vor allem bei der Feinmotorik
macht ihm die Krankheit zu schaffen. 

Um das zu demonstrieren, nimmt er einen Stift - seine Hand zittert.
«Früher habe ich den Strich frei gezogen, jetzt muss ich mir ein
Lineal hinlegen. Oder beim Schneiden mit der Flex, da muss ich drauf
achten, dass ich rechtzeitig Pause mache, weil sich die Finger sonst
nicht mehr lösen. Ganz schlecht geht das Schrauben. Aber es ist zum
Glück immer noch keine wirkliche Beeinträchtigung, sondern
schlimmstenfalls eine Verzögerung.»

Die Herstellung der Werke eines Tages an jemanden outzusourcen, ist
für ihn undenkbar. «Das wäre wie wenn sich ein Koch ein Rezept
ausdenken und es dann bei Lieferando bestellen würde.» Um sich sein
e
derzeitige Lebensqualität noch möglichst lange zu erhalten, tut der
56-Jährige viel für seine Gesundheit. Er versucht, sich gesund zu
ernähren, macht Sport und Yoga.

Einmal in der Woche geht er zur Physiotherapie, einmal im Monat lässt
er sich alternativ-heilkundlich behandeln, einmal im Jahr macht er
eine dreiwöchige Kur. «Es ist schon echt Programm.» Dazu kommen
Medikamente. Nach anfänglichen Einstellungsschwierigkeiten hat er
heute kaum noch mit Nebenwirkungen zu kämpfen, am ehesten noch mit
mangelndem Antrieb. Wenn man allerdings die große Ausstellung gesehen
hat, die er im vergangenen Monat im Baukunstarchiv in Dortmund
zeigte, scheint das Motivationsproblem doch relativ zu sein. 

Gar nicht vorstellen kann er sich, eines Tages mit der künstlerischen
Arbeit aufzuhören. «Denn kreativ zu sein, das Gehirn zu nutzen, das
hat, glaube ich, auch einen therapeutischen Effekt. Das wirkt einer
Verlangsamung im Kopf entgegen. Insofern ist das für mich, unabhängig
vom Künstlerischen, ein wichtiger medizinischer Faktor. Ich mache
weiter, solange es geht.»