Kramp-Karrenbauer, Karneval und Grenzen guten Geschmacks Von Ruppert Mayr, dpa

Es ist Karneval. Auch an Karneval gibt es Grenzen. Hat Annegret
Kramp-Karrenbauer diese Grenzen bei ihrem Fastnachtauftritt
überschritten, weil sie ein konservatives Klientel bedienen wollte,
wie Kritiker meinen?

Berlin (dpa) - Es dauerte etwas, bis die Brisanz der Äußerung von
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in der Medienwelt ankam. Es war
wohl mal wieder eine Privatperson, die die Sendung zwei Tage später
sah, sich an ihren Äußerungen zu «Toiletten für das dritte
Geschlecht» störte und das in den sozialen Medien verbreitete. Was
sorgte für die späte Empörung?

Kramp-Karrenbauer musste sich am vergangenen Donnerstag als
Angeklagte beim «Stockacher Narrengericht», einer
schwäbisch-alemannischen Fastnachtsveranstaltung in dem Städtchen am
Bodensee, als weit und breit einzige Frau gegen eine Männerriege
verteidigen. Ihre Verteidigungsrede war vor allem gegen die
Männerdominanz im Saal gerichtet. «Guckt Euch doch mal die Männer von

heute an. Wer war denn von Euch vor kurzem mal in Berlin? Da seht ihr
doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte
Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen,

ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen.
Dafür, dazwischen, ist diese Toilette.»

Nun sind derbe Zoten - und auch Entgleisungen - im Karneval oder bei
der Fastnacht nichts Neues. Grünen-Chefin Annalena Baerbock gesteht
Kramp-Karrenbauer - oder kurz AKK - denn auch zu, dass ein Witz immer
mal daneben gehen könne. «Aber wenn man sich dafür nicht
entschuldigt, wenn er auf Kosten von Minderheiten geht, dann steckt
da mehr dahinter.» Es gebe eine Vorgeschichte, nämlich umstrittene
Äußerungen Kramp-Karrenbauers zur Ehe für Schwule und Lesben.

Steckt mehr dahinter? Ihre Vorgängerin im CDU-Vorsitz, Angela Merkel,
hatte im Sommer 2017, wenige Monate vor der Bundestagswahl, die von
der Union bis dahin abgelehnte «Ehe für alle» abgeräumt, indem sie
so
nebenbei die Abstimmung im Bundestag freigab. Damals stimmte immerhin
ein knappes Viertel der Unionsabgeordneten für die Homo-Ehe. AKK
hatte dagegen noch 2015 als saarländische Ministerpräsidentin in der
«Saarbrücker Zeitung» ihre Position klar gemacht, es gebe in
Deutschland bisher eine eindeutige Definition der Ehe als
Gemeinschaft von Mann und Frau. Wenn diese Definition geöffnet würde,
«sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter
engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen».

Hat sie nun mit den Äußerungen gezielt versucht, auf Kosten einer
Minderheit intersexueller Menschen, eine konservative Klientel zu
bedienen, wie ihr auch vorgeworfen wird? So ganz einfach ist das
nicht. Gesundheitsminister Jens Spahn, der dem konservativen Flügel
der CDU zugerechnet wird und mit einem Mann liiert ist, kritisierte
Kramp-Karrenbauers Familienbild und hielt ihr diese Äußerungen noch
bei den Regionalkonferenzen vor der Wahl zur Parteispitze vor.

Es war auch nicht verwunderlich, dass der Bundesverband der Lesben
und Schwulen in der Union von ihr eine Entschuldigung für ihren
Karnevalswitz über Toiletten für intersexuelle Menschen fordert. Dem
SWR sagte der Vorsitzende Alexander Vogt, auch im Karneval gebe es
Grenzen. Auch, wenn der Witz von Kramp-Karrenbauer keine böse Absicht
gewesen sei, mache das die Sache nicht besser. Das kann zumindest als
Hinweis genommen werden, dass die Rechnung, auf diese Weise eine
konservative Klientel zu binden, nicht zwingend aufgeht.

Regierungssprecher Steffen Seibert reagierte jedenfalls recht kühl,
als er nach einer Stellungnahme der Kanzlerin gefragt wurde.
«Büttenreden kommentiere ich nicht», sagte er und verwies
schmallippig darauf, dass die Bundesregierung erst vor kurzem die
Rechte intersexueller Menschen gestärkt habe.

Kramp-Karrenbauer wollte zu all dem nichts sagen. Vielleicht kommt
noch etwas bei ihrem Auftritt am Aschermittwoch im mecklenburgischen
Demmin. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak verteidigte seine Chefin in
der «Passauer Neuen Presse»: «Es ist Karneval. Und im Karneval soll
te
man die Dinge nicht zu ernst nehmen.» Nun stellt sich wie so oft die
Frage: Kann man im Karneval Witze auf Kosten von Minderheiten machen,
die es in der Gesellschaft ohnehin nicht leicht haben? Man kann. Aber
muss man das?