Prozess wegen Abtreibungs-Werbeverbot könnte eingestellt werden

Die Bundesregierung will das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche
entschärfen. Die Gesetzesänderung könnte das laufende Verfahren gegen

zwei Frauenärztinnen in Kassel beenden. Die Angeklagten bleiben
kritisch.

Kassel/Berlin (dpa/lhe) - Die geplante Reform des umstrittenen
Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche könnte in Kassel zu einem

vorzeitiges Ende des Verfahrens gegen zwei Frauenärztinnen führen.
«Wir hoffen, dass das Verfahren eingestellt wird», sagte die
Frauenärztin Nora Szász. Sie ist mit ihrer Kollegin Natascha Nicklaus
vor dem Amtsgericht Kassel wegen Verstoßes gegen den
Strafgesetzbuch-Paragrafen 219a angeklagt. Die beiden Frauen hatten
auf ihrer Praxishomepage über angebotene Leistungen informiert,
darunter auch Schwangerschaftsabbruch. Abtreibungsgegner hatten sie
daraufhin angezeigt.

Nach Plänen der Bundesregierung soll das Werbeverbot in 219a bestehen
bleiben, aber ergänzt werden: Ärzte und Kliniken dürfen demnach
informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Sie sollen
zugleich auf weitere Informationen neutraler Stellen hinweisen
dürfen. Die Bundesärztekammer soll eine Liste mit Ärzten,
Krankenhäusern und anderen Einrichtungen führen, die Abbrüche
vornehmen. Einen entsprechenden Entwurf wollte das Bundeskabinett am
Mittwoch verabschieden.

Der vorliegende Entwurf bringe Ärzten aber keine Rechtssicherheit,
kritisierte Szász. Denn er verbiete weitere Information durch die
Mediziner: «Wir dürfen nur sagen, dass wir es tun, aber mehr nicht.»


Trotzdem wollen die Kasseler Ärztinnen an der Formulierung auf ihrer
Internetseite festhalten. Dort geben sie an, dass der
Schwangerschaftsabbruch operativ oder medikamentös erfolgt. Ob das
durch eine Gesetzesänderung gedeckt wäre oder zu einer Verurteilung
führt, muss das Amtsgericht Kassel prüfen. Dort ist das Verfahren auf
unbestimmte Zeit ausgesetzt.

Eine Änderung der Rechtslage würde sich auf den Prozess auswirken.
«Hat ein Strafverfahren eine Tat zum Gegenstand, die auf Grund einer
Gesetzesänderung nicht mehr strafbar ist, besteht die Möglichkeit,
das Strafverfahren endgültig einzustellen», sagte ein
Gerichtssprecher.

Dazu müsste das neue Gesetz allerdings erst in Kraft treten. Dass das
Amtsgericht bis dahin auf neue Verhandlungstermine verzichtet, ist
wahrscheinlich. Es hatte angekündigt, Entwicklungen abzuwarten, die
sich aus dem Vorschlag der Bundesregierung ergeben.

Frauenärztin Szász hofft, dass beim Gesetzentwurf noch nachgebessert
wird. Er sei eine «Peinlichkeit für einen modernen aufgeklärten
Staat». Wenn nicht, müsse eine höchstrichterliche Entscheidung
Veränderung bringen. «Wenn ein neues Gesetz uns keine
Rechtssicherheit gibt, dann muss leider der gesetzlichen Weg mit
Verurteilung und Berufungsverfahren weitergehen.»

Auch die wegen Werbung für Abtreibungen verurteilte Gießener Ärztin
Kristina Hänel hat die Einigung der Bundesregierung bereits
kritisiert. «Frauen haben ein Recht auf Information und das ist
weiterhin verboten. Das ist eine staatliche Zensur», hatte sie
erklärt. Hänel war vom Landgericht Gießen im November 2017 zu einer
Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt worden, weil sie auf ihrer
Internetseite Schwangerschaftsabbrüche als Leistung angeboten hatte.
An ihrem Fall hatte sich die Debatte entzündet. Sie hat Revision
eingelegt.