Ärztlicher Zweifel an Feinstaub-Grenzen sorgen für neuen Streit Von Valentin Frimmer und Axel Hofmann, dpa

Sind Autoabgase wirklich so gefährlich wie gedacht? Einige Ärzte
äußern Zweifel und befeuern damit den alten Streit um Grenzwerte und
Diesel-Fahrverbote. Auch in der Koalition gehen die Meinungen
auseinander.

Berlin (dpa) - Mehr als hundert Lungenspezialisten bezweifeln den
gesundheitlichen Nutzen der aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und
Stickoxide (NOx). Sie sehen derzeit keine wissenschaftliche
Begründung, die die geltenden Obergrenzen rechtfertigen würde, heißt

es in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme. Viele
Studien, die Gefahren durch Luftverschmutzung zeigen sollen, hätten
erhebliche Schwächen. Zudem seien Daten in der Vergangenheit
einseitig interpretiert worden.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sieht den Vorstoß der
Mediziner als wichtige Initiative, um «Sachlichkeit und Fakten» in
die Diesel-Debatte zu bringen. «Der wissenschaftliche Ansatz hat das
Gewicht, den Ansatz des Verbietens, Einschränkens und Verärgerns zu
überwinden», sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) verteidigte hingegen die
bestehenden Grenzwerte. Dass Luftschadstoffe die Lebenszeit verkürzen
und Krankheiten befördern, sei wissenschaftlich unumstritten, sagte
ein Sprecher ihres Ministeriums in Berlin.

Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) - der Jahresmittelwert darf
40 Mikrogramm pro Kubikmeter in der Außenluft nicht überschreiten -
gelten in der EU seit 2010. Auch für Feinstaub gibt es je nach
Partikelgröße Grenzwerte. An Orten, wo Grenzwerte über längere Zeit

deutlich überschritten werden, drohen unter anderem Fahrverbote für
Diesel-Fahrzeuge.

Das Umweltministerium betonte, die Grenzwerte fußten auf einer
«soliden wissenschaftlichen Basis» und folgten der
Weltgesundheitsorganisation WHO. Auch das Umweltbundesamt sieht
«keinen Grund, die auf europäischer Ebene festgelegten
Stickstoffdioxid-Grenzwerte infrage zu stellen». In dem Papier der
Lungenexperten, über das der Norddeutsche Rundfunk und die «Welt»
zuvor berichtet hatten, wird jedoch gefordert, dass relevante
Untersuchungen neu bewertet werden.

Dieser Forderung schlossen sich die AfD und die FDP an. Der
FDP-Vorsitzende Christian Lindner betonte: «Wir können nicht länger
zulassen, dass Mobilität und Schlüsselindustrien leiden, weil rein
ideologische Festsetzungen verfolgt werden.» Der AfD-Verkehrsexperte
Dirk Spaniel zeigte sich erstaunt, «dass erst auf Druck einer ganzen
Armada von Fachärzten Druck auf die absurde Grenzwertpolitik von
Union und SPD ausgeübt wird».

Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) machte sich
dafür stark, die Grenzwerte vorerst auszusetzen. Man dürfe den Diesel
nicht auf der Basis fragwürdiger Obergrenzen systematisch kaputt
reden und sich dann über steigende CO2-Emissionen wundern. Auch der
deutsche Städte- und Gemeindebund wünscht sich eine Neubewertung der
Schadstoff-Messwerte. «Wir lösen die Verkehrsprobleme in Deutschland
nicht, indem wir den Städten teilweise den Stecker ziehen und die
Pendler keine Chancen haben, zu Ihren Arbeitsplätzen zu kommen»,
sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Funke-Mediengruppe.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) bezeichnete den Vorstoß
der Lungenärzte hingegen als unverantwortliche Effekthascherei. «Die
Frage ist doch, warum sich die Ärzte erst zu Wort melden, wenn das
seit fast zehn Jahren geltende Recht zum Schutz der menschlichen
Gesundheit ganz oben auf der politischen Agenda steht und endlich
durchgesetzt werden soll», sagte Martin Schlegel vom BUND Berlin.
Auch Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer will an den bestehenden
Grenzwerten festhalten. Sie dienten vor allem dem Schutz von
Risikogruppen wie Kranken, Kindern und Schwangeren.

Mit ihrem Vorstoß stellen sich die Lungenärzte auch gegen ein
Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und
Beatmungsmedizin (DGP), das Ende 2018 veröffentlicht worden war.
Darin hieß es: «Studien zeigen, dass die Feinstaub-Belastung durch
Landwirtschaft, Industrie und Verkehr gesundheitsschädlich ist.» Nun
heißt es von der DGP, der Deutschen Lungenstiftung und dem Verband
Pneumologischer Kliniken (VPK), die aktuelle Stellungnahme werde als
Anstoß für notwendige Forschungsaktivitäten und eine kritische
Überprüfung betrachtet.

Das jetzt veröffentlichte Papier wurde an 3800 DGP-Mitglieder
verschickt, 113 Fachleute haben die Stellungnahme unterschrieben.
DGP, VPK und Lungenstiftung zeigten sich davon überrascht: «Die Liste
zeigt, dass die Gruppe der Forscher und Lungenärzte, die der aktuell
vorherrschenden Position widersprechen, deutlich größer ist als
angenommen.»