Die alternden Gefangenen von Guantánamo Bay Von Maren Hennemuth, dpa

Fast 17 Jahre gibt es das berüchtigte US-Gefangenenlager Guantánamo
nun schon. 40 Männer sitzen noch immer dort ein, manche von ihnen
sind krank. Aber der Ort ist weitgehend in Vergessenheit geraten -
und auch Donald Trump scheint sein Interesse daran verloren zu haben.

Guantánamo Bay (dpa) - In Guantánamo wächst jetzt Baumwolle. In einem

Außenbereich des Gefangenenlagers, in grauen Betonkübeln, hinter
Zäunen und Stacheldraht, neben einem kleinen Fußballfeld. Ein paar
der Kapseln an den grünen Pflanzen sind schon aufgeplatzt, die
weißen, flauschigen Wollbällchen quellen heraus. Die Gefangenen
hätten sie angepflanzt, sagt einer der Wärter, und wie so oft in dem
berüchtigten amerikanischen Lager auf Kuba lässt sich das nur schwer
überprüfen. Denn mit den Insassen selbst darf man als Reporterin
nicht reden, und so bleibt erstmal nur der Wärter, und der wägt seine
Worte sehr genau ab. Die Frage etwa, ob die Häftlinge Fußballspiele
gegeneinander abhalten könnten, will er nicht beantworten.

Dem Mann steht der Schweiß auf der Stirn, die Sonne knallt auf den
Platz, es ist heiß. Nur ein paar Meter von den Stacheldrahtzäunen des
Lagers entfernt schwappt das Meer ans Land, die Luft riecht salzig.
Die Gefangenen in diesem Teil des Lagers aber können das Wasser nicht
sehen, ein grüner Sichtschutz verhindert es. Vor ein paar Jahren, als
ein Hurrikan auf Kuba zusteuerte, hatten die Wärter die Planen
abgenommen. Für ein paar Tage blieb das so, einige Gefangene sahen
zum ersten Mal das Meer, manche malten es. So schilderte es ein
entlassener Häftling in einem Essay für die «New York Times».

Fast 17 Jahre gibt es das berüchtigte US-Gefangenenlager auf Kuba nun
schon. Als die ersten Häftlinge am 11. Januar 2002 nach Guantánamo
kamen, regierte George W. Bush die USA und Gerhard Schröder
Deutschland. Michael Jackson hatte gerade ein neues Album auf den
Markt gebracht, Handys waren von Nokia oder Motorola, im Kino lief
«Ocean's Eleven» und ein paar Monate später sollte Brasilien
Fußball-Weltmeister werden. Die Welt hat sich verändert seither, aber
Guantánamo ist geblieben. Barack Obama wollte es schließen, aber er
scheiterte.

40 Häftlinge sitzen noch immer in dem Lager ein, das die US-Regierung
nach den Anschlägen vom 11. September 2001 errichtete, um mutmaßliche
Terroristen festzuhalten. Der jüngste Gefangene ist 37, der älteste
71. Der Großteil der Männer wurde nie angeklagt - und wie es
aussieht, wird sich daran auf absehbare Zeit nichts ändern.

Donald Trump will an dem Gefangenenlager festhalten, das hat er ein
ums andere Mal klargemacht. Im Januar unterzeichnete der US-Präsident
einen Erlass, mit dem er Obamas Schließungsbefehl aufhob. Er drohte
sogar schon damit, neue Häftlinge nach Guantánamo zu schicken. Ob das
tatsächlich so kommt, ist fraglich, aber im Lager rüsten sie sich für

die Zukunft. Gerade ist ein neuer Krankentrakt fertiggestellt
geworden - für 9,6 Millionen US-Dollar. Die Gefangenen werden älter,
einer von ihnen musste bereits mehrfach notoperiert werden.

Die Mission der «Joint Task Force Guantánamo», die das Lager
betreibt, hat sich mit Trumps Anordnung verändert. Unter der
demokratischen Vorgängerregierung stellte sich die Einheit auf die
Schließung des Lagers ein, nun bereitet sie sich darauf vor, es
weiterzubetreiben. Von einer «dauerhaften Mission» ist die Rede. Der
Kommandeur des Lagers, Konteradmiral John Ring, sagt, er habe die
Anweisung bekommen, sicherzustellen, dass die Einrichtungen des
Gefängnisses für weitere 25 Jahre bestehen bleiben könnten.

Noch immer lässt das Militär Journalisten nach Guantánamo, aber es
ist anders als unter Obama. Die Soldaten wirken zugeknöpfter als ihre
Vorgänger, ihre Antworten klingen oft ausweichend, manche Fragen
beantworten sie gar nicht. Auch unter Obama war strikt geregelt, was
Reporter zu sehen bekommen und was nicht. Auch damals zensierte das
Militär bestimmte Bilder. Aber es hatte den Anschein, dass den
Verantwortlichen sehr viel daran gelegen ist, zu zeigen, dass sie die
Häftlinge gut behandeln. Sie wirkten mehr um Transparenz bemüht.

So durften Journalisten den Gefangenen bei einer Pressetour 2016
durch eine verspiegelte Tür beim Beten zuschauen. Auch ein Besuch in
der Bücherei des Lagers stand auf dem Programm.

Das alles ist vorbei. Für die Führung durch die Camps räumt das
Militär inzwischen nicht viel Zeit ein. Die Fahrt dorthin führt
vorbei an struppigen Hügeln mit Kakteen und Büschen. Als der Wagen
mit den Journalisten einen Kontrollpunkt passiert, ruft eine
Presseoffizierin ihren Soldatenkollegen den Leitspruch der Mission
zu: «Defend Freedom» - «Verteidigt die Freiheit».

Die Camps 5 und 6 liegen hinter mehreren Reihen von
Stacheldrahtzäunen. Camp 7 ist für Journalisten tabu, das Militär
hält den Standort geheim. Dort sitzen 15 sogenannte «high value
detainees» - Gefangene von «hohem Wert», die einst in
Geheimgefängnissen der CIA festgehalten wurden, bevor sie nach
Guantánamo kamen. Unter ihnen ist auch Chalid Scheich Mohammed, der
mutmaßliche Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001.

In Camp 6 leben die Insassen in dreieckigen Zellentrakten. Ihre Türen
sind verspiegelt, die Wärter können von außen hineinsehen, die
Häftlinge aber wissen nicht, was auf der anderen Seite vor sich geht.
Zwei der Männer diskutieren miteinander, es wirkt hitzig. Ein Mann
mit einem schwarzen Bart und einem weiten braunen Hemd studiert eine
Seite in seinen Händen. Dass hinter der Scheibe Journalisten stehen
und ihn beobachten, ahnt er wohl nicht.

Die Zellen sind 8,9 Quadratmeter groß. Zu ihrem Inventar gehören eine
Pritsche mit einer Schaumstoffmatratze, eine Kloschüssel, ein
Waschbecken aus Stahl, ein Tisch. Der Boden ist aus Beton, die Wände
sind gelb angestrichen. Ein Pfeil weist nach Mekka, als Gebetshinweis
für Gefangene muslimischen Glaubens. Manche der Zellen sind
rollstuhlgerecht.

Insassen, die die Soldaten als «gefügig» einstufen, dürfen sich 22

Stunden am Tag frei zwischen ihren Zellen, den Gemeinschaftsräumen
und den Außenbereichen bewegen. In einem leerstehenden Zellblock
haben die Wärter einen Freizeitbereich eingerichtet: mit einer
Tischtennisplatte, Trainingsgeräten, Büchern und einer Playstation.
Acht Gefangene dürfen sich hier für vier Stunden zusammen aufhalten.

In einer Zelle haben die Soldaten Häftlingskleidung ausgelegt - zur
Anschauung für die Journalisten. Neben einem Stück Seife liegen
ordentlich aufgereiht eine Zahnbürste und Zahnpasta, ein
Lippenpflegestift, eine Sonnenbrille, eine Schlafmaske, eine Mütze
und ein Gebetsteppich. Es wirkt fast, als stünde man in einem Museum.

Zur Tour für die Reporter gehört auch die Besichtigung einer Küche,
in der das Essen für die Gefangenen zubereitet wird. In einer braunen
Kiste liegen bunte Saftpäckchen und Teller mit Käse, der unter
Plastikfolie verpackt ist. Auf einer weißen Styroporbox hat jemand
mit blauem Marker festgehalten, dass es sich um Diabetikerkost
handelt. Die Päckchen mit Salz und Pfeffer sind genau abgezählt,
jeder Häftling bekommt jeweils zwei. In einem Kühlhaus lagern Kartons
mit Fleisch, laut Aufschrift: Angus-Rind aus Iowa.

In Camp 5 zeigen die Soldaten den Besuchern den neuen Krankentrakt.
Drei Ärzte, drei Psychiater und mehrere Krankenpfleger kümmern sich
um die Häftlinge. Einer der Ärzte sagt, seine Patienten hätten
dieselben gesundheitlichen Probleme wie andere Menschen ihrer
Altersgruppe: Prädiabetes, hoher Blutdruck, leichtes Übergewicht.

Ein paar Tage später wird Abdel Hadi al-Iraki, einer der Männer, die
wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen angeklagt wurden und im geheimen
Camp 7 sitzen, im Gerichtssaal Rückenkrämpfe erleiden. Sie sind so
schlimm, dass der Richter die Anhörung abbrechen muss, wie es die
Journalistin Carol Rosenstein in einem Artikel für den «Miami Herald»

schildert. Der Gefangene musste bereits fünfmal operiert werden, laut
Gerichtsdokumenten leidet er an einer Wirbelsäulenerkrankung.

Zur neuen medizinischen Einrichtung des Lagers gehört nun auch ein
Operationssaal. Untergebracht ist er in einem Containertrakt, samt
Röntgenraum und Notfallbetten. Es wäre alles nicht weiter
ungewöhnlich, wenn nicht in einem der Untersuchungsräume im Boden ein
Metallring eingelassen wäre. Er dient dazu, die Fußfesseln der
Gefangenen festzuketten.

In der Vergangenheit kam es immer wieder vor, dass Gefangene aus
Protest gegen ihre Inhaftierung in einen Hungerstreik traten. 2013
waren es über Hundert. Bei dem Journalistenbesuch 2016 gehörte es
dazu, dass die Soldaten einen Stuhl zeigten, auf dem die Häftlinge
zur Zwangsernährung festgeschnallt werden konnten. Ähnliches fehlt
nun, der Arzt hält sich mit Details zu dem Thema bedeckt. Er sagt
lediglich, dass es derzeit einen «hochgradig gefügigen» Gefangenen
gebe, der auf «nicht-religiöse» Weise «faste». Das Wort Hungerstr
eik
kommt in der Sprache des US-Militärs nicht vor, sie nennen es
«nicht-religiöses Fasten» - das war schon unter Obama so.

In Camp 5 ist im zweiten Stock des Krankentraktes eine psychiatrische
Einheit untergebracht. Zwei Zellen wurden zu Praxisräumen
umfunktioniert. Eine weitere ist leer, ihre Wände sind gepolstert.
Ein Psychiater sagt, Gefangene, die aufgebracht seien, könnten hier
zehn bis zwanzig Minuten verbringen, wenn sie das wollten. Der
Aufenthalt in der Zelle sei freiwillig, betont er.

In einer typischen Woche sehe er zwei bis drei Patienten, sagt der
Psychiater. Zu den Details der Diagnosen und Therapien will er sich
nicht äußern. «Die meisten leiden nicht unter einer schweren
Depression», sagt er. Es handele sich stattdessen um psychosoziale
Probleme, die mit der Inhaftierung zu tun hätten.

Wie alle Soldaten der Einheit sind auch die Ärzte und Psychiater für
neun Monate hier stationiert. Dann wechselt das Personal. Die
Häftlinge wüssten das, es sei für die Behandlung nicht störend, sag
t
der Psychiater.

Von den 40 Gefangenen in Guantánamo wurden 26 nie angeklagt. Weil die
Beweise nicht ausreichen für eine Anklage oder Aussagen durch Folter
erzwungen wurden und bei einem Verfahren vor Gericht nicht verwendet
werden könnten. Dennoch will die US-Regierung die Männer nicht gehen
lassen, weil sie sie für zu gefährlich hält. Nun gelten sie als
«forever prisoner», als ewige Gefangene.

Ein anderer Insasse ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden, ein
weiterer wartet auf sein Strafmaß. Sieben Männer müssen sich vor
Militärgerichten verantworten. Aber die Verfahren stocken, noch
laufen nur die Vorverhandlungen.

Fünf Gefangene haben eigentlich die Freigabe, Guantánamo verlassen zu
dürfen - eine Entscheidung der Obama-Regierung. Drei der Männer
sollten in andere Länder gebracht werden, aber das klappte nicht mehr
rechtzeitig vor Trumps Amtsantritt. Unter dem Republikaner schloss
die Regierung dann ein Büro im Außenministerium, das sich mit
Guantánamo beschäftigte. Es war auch dafür zuständig, die Verlegung

von Häftlingen zu organisieren.

Konteradmiral John Ring sagt, er habe aus Washington keinen Befehl
erhalten, einen Transport von Gefangenen zu arrangieren. Dann
berichtet er, zwei der fünf Insassen hätten noch unter Obama die
Möglichkeit gehabt, das Lager zu verlassen - sie hätten das aber
nicht gewollt.

Ring ist seit April Kommandeur des Gefangenenlagers, in dem rund 1800
Soldaten und Zivilisten arbeiten. Er lebt in einem großen Haus auf
der anderen Seite der Bucht, von der Terrasse aus hat man einen
weiten Blick auf das Meer.

Ring sagt, viele der Häftlinge seien noch immer «im Krieg mit
Amerika». Einen «Krieg», den sie mit kleinen Akten des Widerstands
führen würden. Der Anwalt Shane Kadidal vom Center for Constitutional
Rights, das mehrere Häftlinge vertritt, hat da eine andere Meinung.
«Wenn «Krieg mit Amerika» darin besteht, langsamer auf einen Befehl
zu reagieren, sich von einem Teil des Gefängnisses in einen anderen
zu bewegen, oder sich über den Mangel an Aktivitäten zu beschweren,
dann mag das stimmen. Ansonsten haben wir es mit einer zunehmend
älter werdende Gruppe von inhaftierten Männern zu tun, die an
gesundheitlichen Problemen und Depressionen leiden.»

Seit Trumps Amtsantritt im Januar 2017 wurde immer wieder darüber
spekuliert, ob die Regierung neue Häftlinge nach Guantánamo schicken
könnte - etwa Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
Trump hat sich die Möglichkeit in seinem Erlass vom Anfang des Jahres
offen behalten. Es wäre ein Novum - seit März 2008 hat es keinen
Neuzugang mehr in Guantánamo gegeben.

Kommandeur Ring sagt, er habe momentan die Kapazitäten, 40 weitere
Häftlinge aufzunehmen, ohne zusätzliches Personal oder neue
Räumlichkeiten zu brauchen. Derzeit gebe es aber keinen Befehl, neue
Gefangene aufzunehmen. Er habe auch keine Hinweise darauf, dass sich
das ändern könne.

Der Anwalt Shane Kadidal glaubt, dass das Thema für den Moment vom
Tisch ist. Die Verlegung mutmaßlicher IS-Mitglieder nach Guantánamo
hätte sofort eine rechtliche Anfechtung ihrer Inhaftierung zur Folge,
sagt er. Die Eltern der Journalisten James Foley und Steven Sotloff,
die beide vom IS enthauptet wurden, sprachen sich in einem
Gastbeitrag in der «New York Times» dagegen aus, die Peiniger ihrer
Kinder nach Guantánamo zu schicken oder die Todesstrafe gegen sie zu
verhängen - weil beides sie in ihren Augen zu Märtyrern machen würde.


Im Juli 2017 lieferte Spanien einen Terrorverdächtigen an die USA
aus. Ali Charaf Damache - ein mutmaßliches Al-Kaida-Mitglied - musste
sich in einem Bundesgericht in Philadelphia verantworten und wurde zu
15 Jahren im Gefängnis verurteilt. Dabei hatte der damalige
Justizminister Jeff Sessions sich in der Vergangenheit vehement
dagegen ausgesprochen, dass mutmaßliche Terroristen vor zivilen
Gerichten angeklagt werden. Auch er wollte sie nach Guantánamo
schicken. Aber die Verfahren vor dem Militärgericht dort gelten als
ineffizient. Es scheint so, als ob selbst die Trump-Regierung keinen
richtigen Nutzen für das berüchtigte Lager hat.

Die Männer aber, die noch in Guantánamo sitzen, werden dort wohl erst
einmal bleiben. In einem Gefängnis am Meer, das sie nicht sehen.