Noch ist nichts entschieden - Rennen um CDU-Vorsitz geht weiter Von Ruppert Mayr, dpa

Halbzeit bei den acht CDU-Regionalkonferenz. Wer folgt Angela Merkel
an der Parteispitze nach? Der Zwischenstand frei nach Bertolt Brecht:
«Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.»

Berlin (dpa) - Wieder eine Umfrage, rechtzeitig zur Halbzeit der
insgesamt acht CDU-Regionalkonferenzen. Danach kann Generalsekretärin
Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Vorsprung im Rennen um den
CDU-Vorsitz ausbauen. 38 Prozent meinen laut ZDF-«Politbarometer» vom
Freitag, dass sie Nachfolgerin von Angela Merkel als CDU-Chefin
werden sollte. 3 Prozentpunkte mehr als vor zwei Wochen. Nach den
Zahlen fällt der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz um 4
Punkte auf 29 Prozent zurück. Und Gesundheitsminister Jens Spahn
kommt nur auf 6 Prozent, minus 1 Prozentpunkt.

Vorsicht ist angebracht. Es handelt sich um potenzielle CDU-Wähler.
Die Parteimitglieder dürften auf die drei völlig anders reagieren.
Und wieder anders werden sich wohl die Delegierten auf dem mit
Spannung erwarteten Parteitag vom 6. bis 8. Dezember in Hamburg
verhalten.

Für Schmunzeln sorgte am Donnerstagabend bei der vierten
Regionalkonferenz in Halle an der Saale, dass bei der Auslosung der
Startnummern für die Vorstellungsrunde wieder die gleiche Reihenfolge
gezogen wurde, wie bei der ersten in Lübeck: 1 Kramp-Karrenbauer, 2
Merz, 3 Spahn. Und auch nach vier Runden ist weder die Auslosung ein
Omen, noch die Umfrage eine Vorentscheidung.

Nach dem anfänglichen Hype um Friedrich Merz ist es etwas ruhiger
geworden. Zumal er den einen oder anderen Rückschlag hinnehmen
musste. Sei es, dass er von einer Grenzöffnung in 2015 sprach, was
nicht der Fall war, sei es, dass er eine Grundgesetzänderung im
Asylrecht ins Gespräch brachte. Auch wenn er hier wieder
zurückruderte, hat es ihm offensichtlich nicht so sehr geschadet,
zumindest im Osten.

Bei den mehreren hundert CDU-Mitglieder, die am Donnerstagabend vor
allem aus Sachsen und Sachsen-Anhalt nach Halle kamen, machte Merz
durchaus seine Punkte. Etwa als er das kritische Echo auf seine
Äußerungen zum Asylrecht als durch die Journalisten entstandenes
Missverständnis abtat. Dabei unterstellen ihm viele, dass er das
«Missverständnis» provozierte, wohl wissend, dass hier viele
CDU-Mitglieder die Flüchtlingspolitik Merkels sehr kritisch sehen.

Führende CDU-Vertreter warnen schon, die Migrations- und
Flüchtlingspolitik sei nicht das wichtigste Thema für die Partei, und
so könnten Merz die Einlassungen zum Asylrecht, sieht man die ganze
CDU, eher abträglich sein. Die Entscheidung über den Parteivorsitz
fällen nämlich die 1001 Delegierten in Hamburg. Sachsen entsendet den
Angaben zufolge 30 Delegierte, Thüringen 24, Sachsen-Anhalt 18,
Brandenburg 17 und Mecklenburg-Vorpommern 14, macht insgesamt 103
oder gut zehn Prozent.

Spahn, der ähnlich wie Merz die Flüchtlings- und Migrationspolitik
von Merkel angegriffen hatte, ging das Thema Ausländer in Halle etwas
geschickter an. Er griff mit der deutschen «Leitkultur» ein Thema
auf, das Merz schon vor 15 Jahren gesetzt hatte. Jeder der in
Deutschland mitmachen wolle, sei herzlich willkommen, sagte Spahn.
Kulturelle Unterschiede könnten bereichernd sein, aber nicht alle.
Ehrenmord, Zwangsheirat, Antisemitismus - «das hat mit unseren Werten
nichts zu tun». Dafür erntete er großen Beifall.

Und Spahn sprach als erster von den dreien den Konflikt um die
Braunkohle an, der neben NRW den Osten besonders betrifft. Ja, man
wolle den Braunkohleabbau beenden, aber zuerst müsse über die
Perspektiven der betroffenen Familien geredet werden. Wie könne die
Strukturreform gestaltet werden? Wieder Applaus.

Merz muss man zugestehen, dass er mit seiner Kandidatur das Rennen um
die Merkel-Nachfolge für die CDU-Mitglieder spannend gemacht hat. Er
hat verhindert, dass es ein mehr oder weniger langweiliges Duell
zwischen Kramp-Karrenbauer und Spahn wird. Damit hat er der Sache,
aber auch den Konkurrenten einen Gefallen getan. Sie müssen sich
jetzt mehr anstrengen. Und gerade der Merkel-Vertrauten
Kramp-Karrenbauer verschaffte er bis zu einem gewissen Grad die
Möglichkeit, sich schärfer zu profilieren.

Manche sehen inzwischen das Rennen auf ein Duell Kramp-Karrenbauer
und Merz konzentriert. Andere warnen jedoch, Spahn zu früh
abzuschreiben. Die restlichen vier Konferenzen sind im Westen:
Böblingen, Düsseldorf, Bremen und Berlin. Da kann noch einiges
passieren.

Auch die Variante, dass ein abgeschlagener Spahn auf dem Parteitag
eine Empfehlung für Merz aussprechen könnte, ist nicht sehr
wahrscheinlich. Gerade Spahn hatte sich über die Kandidatur von Merz
am meisten geärgert. Denn sie tummeln sich in einem ähnlichen
politischen Terrain. Besonders bitter für Spahn muss es sein, dass
sich seine Freunde von der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung (MIT)
inzwischen auf die Seite von Merz geschlagen haben.

Im übrigen könnten Spahn-Anhänger möglicherweise mehr gegen Merz
haben - wo warst Du die letzten zehn Jahre? - als gegen
Kramp-Karrenbauer. Und wie das mit Empfehlungen ausgehen kann, zeigt
der Fall Volker Kauder gegen Ralph Brinkhaus. Die Empfehlung der
Kanzlerin für den Fraktionsvorsitz ging nicht auf.

Apropos Kanzlerin. Sie dürfte dem Treiben der drei entspannt
zuschauen. Und jetzt, da sie geht, nimmt Lob und Würdigung beständig
zu. Zuletzt zu beobachten bei ihrem Auftritt in der Generaldebatte
des Bundestages Mitte der Woche. Und auch Merz wird langsam immer
klarer: Wenn er CDU-Vorsitzender werden sollte und sich an den
Koalitionsvertrag halten will, bestimmt die Kanzlerin immer noch
selbst, ob sie vorzeitig geht. Bisher spricht nichts dafür.