USA schieben früheren Nazi-Kollaborateur nach Deutschland ab Von Michael Fischer, dpa

14 Jahre lang wollten ihn die US-Behörden abschieben: Nach einer
Intervention Trumps willigte die Bundesregierung nun ein, einen
95-jährigen früheren SS-Mann einreisen zu lassen. Aus moralischen
Gründen, nicht aus rechtlichen.

Berlin/Washington (dpa) - Nach jahrelangen Bemühungen haben die USA
einen 95-jährigen früheren SS-Mann nach Deutschland abgeschoben. Es
ist ein bisher einmaliger Fall: Die Bundesregierung genehmigte die
Einreise, obwohl der ehemalige Wärter eines NS-Arbeitslagers kein
deutscher Staatsbürger ist und auch keine Beweise vorliegen, dass er
an Nazi-Verbrechen beteiligt war. US-Präsident Donald Trump hatte
sich persönlich für die Abschiebung eingesetzt. «Die Vereinigten
Staaten werden niemanden tolerieren, der NS-Verbrechen und andere
Menschenrechtsverstöße unterstützt hat, und diese Personen werden auf

amerikanischem Boden keine Zuflucht finden», erklärte das Weiße Haus

am Dienstag.

Ein Gerichtsverfahren gegen den Mann ist unwahrscheinlich. Das von
der Staatsanwaltschaft Würzburg geführte Verfahren gegen ihn wegen
Beihilfe zum Mord Mitte wurde 2016 aus Mangel an Beweisen
eingestellt. Der frühere Nazi-Kollaborateur kommt nun in einem
Pflegeheim im nordrhein-westfälischen Ahlen unter.

Außenminister Heiko Maas begründete die Aufnahme des Mannes mit der
deutschen Verantwortung für den Holocaust. «Historische Verantwortung
kennt keinen Schlussstrich», sagte er der «Bild»-Zeitung. Der
Erinnerung an die Gräuel der Nazi-Zeit heute gerecht zu werden heiße,
gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Rassismus zu kämpfen. «Und
es heißt, zu unserer moralischen Verpflichtung gegenüber den Opfern
und nachfolgenden Generationen zu stehen.» Die Schuld derer, die in
deutschem Namen schlimmste Verbrechen begangen hätten, vergehe nicht.
Maas hatte am Montag als erster deutscher Außenminister seit 26
Jahren die KZ-Gedenkstätte Auschwitz besucht und auch dort die
deutsche Verantwortung für die Nazi-Gräueltaten betont.

Jakiw Palij war laut US-Behörden von der SS geschult worden und als
bewaffneter Aufseher im NS-Zwangsarbeitslager Trawniki in dem von
Nazi-Deutschland besetzten Polen tätig. Dort wurden im November 1943
den Angaben zufolge 6000 Juden erschossen. Ob Palij daran beteiligt
war, ist aber nicht erwiesen. Nach US-Angaben soll er aber während
des Massakers vor Ort gewesen sein. «Wir wissen, dass er zu der Zeit
dort war», sagte US-Botschafter Richard Grenell.

Palij wurde nach US-Angaben in dem Teil des damaligen Polen geboren,
der heute zur Ukraine gehört. 1949 sei er in die USA ausgewandert und
habe 1957 die US-Staatsbürgerschaft angenommen. Er habe den USA
damals seine Nazi-Vergangenheit verheimlicht und angegeben, auf einem
Bauernhof und in einer Fabrik gearbeitet zu haben. Ein US-Gericht
hatte Palij bereits 2003 die Staatsbürgerschaft entzogen. 2004 wurde
seine Abschiebung erstmals angeordnet - zunächst ohne Erfolg.

Der Grund dafür war, dass Palij seit 2003 staatenlos war - also kein
deutscher Staatsbürger. Zudem fehlten die Beweise gegen ihn, um ein
Strafverfahren zu eröffnen. Deswegen war Deutschland nicht dazu
verpflichtet, eine Einreisegenehmigung zu erteilen. Es hätte aber die
Möglichkeit nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes gehabt. Dort
heißt es, das Bundesinnenministerium könne «zur Wahrung politischer
Interessen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme» anordnen.

Genau dafür hat sich Innenminister Horst Seehofer (CSU) jetzt
entschieden. «Die Bundesregierung setzt mit der Aufnahme Palijs ein
klares Zeichen der historischen und moralischen Verantwortung
Deutschlands», erklärte sein Ministerium. Ausschlaggebend seien
zunehmende Bitten von Vertretern der jüdischen Gemeinden und
Opferverbände, der US-Regierung, Senatoren und Kongressabgeordneten
gewesen.

Der Fall war Trump offenbar ein persönliches Anliegen. Palij lebte in
Queens, dem New Yorker Stadtteil, in dem der US-Präsident geboren
wurde. Als Trump im Mai Grenell als Botschafter nach Deutschland
entsandte, beauftragte er ihn damit, sich mit höchster Priorität für

die Abschiebung des Nazi-Kollaborateurs einzusetzen. Grenell sprach
das Thema gleich bei seinem Antrittsbesuch bei Maas an. Danach ging
es sehr schnell.

«Für uns ist das ein Fall von moralischer Verpflichtung, weil diese
Person im Namen der früheren deutschen Regierung gehandelt hat.
Darüber waren sich beide Seiten absolut einig», sagte Grenell. Er
lobte auch ausdrücklich die Zusammenarbeit mit Seehofer und Maas. Vor
allem Seehofer habe «eine kreative Sichtweise auf die Sache»
entwickelt. «Es scheint in der neuen Regierung eine neue Energie
entstanden zu sein», sagte Grenell.

Nach US-Angaben hat es seit 2005 acht Fälle gegeben, in denen eine
Abschiebung nicht gelungen sei. Die Betroffenen seien dann in den
USA gestorben. Der Fall Palij ist nun der letzte eines Nazis oder
Kollaborateurs, in dem die USA eine Abschiebung betrieben haben.

Und wie geht es mit dem 95-Jährigen nun weiter? Der Fernsehsender ABC
zeigte am Dienstag Bilder, die seinen Abtransport von seinem Haus in
Queens auf einer Trage zeigen. Neue Ermittlungen in Deutschland wird
es nach Angaben der Staatsanwaltschaft zunächst nicht geben. Sollten
sich keine neuen Beweise ergeben, bleibe der 95-Jährige ein «nicht
mehr Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren in Deutschland»,
sagte der Leitende Oberstaatsanwalt der Zentralen Stelle zur
Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Jens Rommel, in
Ludwigsburg. Eine Einstellung solcher Verfahren sei aber «nichts für
die Ewigkeit», sollten sich neue Beweise ergeben.