Pubertät mit zehn, elf oder zwölf Jahren - Geht das jetzt schon los? Von Elena Metz, dpa

Die Pubertät ist für Kinder wie Eltern eine schwierige Phase,
besonders wenn die Hormone schon früher verrückt spielen als gedacht.
Endokrinologen und Umweltschützer warnen vor Stoffen, die das
Hormonsystem beeinflussen - etwa im Schnuller oder der Zahnbürste.

Berlin (dpa) - Bei zehnjährigen Mädchen wachsen schon Brüste, die
erste Regelblutung kann mit elf oder zwölf einsetzen. Im Jahr 2007
lag der Durchschnitt für die erste Periode bei Mädchen in Deutschland
bei 12,8 Jahren. Das war nicht immer so: Vor rund 110 Jahren setzte
die Pubertät bei Kindern noch rund zwei bis drei Jahre später ein.
Lässt sich das mit der gesellschaftlichen Entwicklung erklären,
anderen Arbeits- und Essgewohnheiten etwa?

«Dazu braucht es Langzeituntersuchungen, die aufwendig und teuer
sind», sagt der Biochemiker und Endokrinologe Josef Köhrle, Präsident

der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, die sich mit Hormonen
und dem Stoffwechsel beschäftigt. «Die Antwort darauf ist komplex.

Die Zahlen von 2007 stammen aus dem Kinder- und
Jugendgesundheitssurveys (KiGGS), das vom Robert Koch-Institut
ausgewertet wurde. Das Bundesinstitut teilt mit, dass das Thema
Pubertätsstatus «kapazitätsbedingt» seitdem nicht weiter verfolgt
wurde.

In den Entwicklungsjahren verändert sich das Hormonsystem des
Körpers. Der Prozess beginnt im Gehirn: Es schüttet Hormone aus, die
in den Eierstöcken oder Hoden die Bildung von Sexualhormonen steigern
und die Geschlechtsfunktionen des Körpers beeinflussen, Schamhaare
und Geschlechtsorgane wachsen und werden funktionsfähig.

Als einen der Hauptgründe für die nach vorne verschobene Pubertät
sieht Köhrle die Gewichtszunahme bei Kindern. Eine schlechte Qualität
der Nahrung, wenig Schlaf und zu wenig Bewegung, weil viel Freizeit
vor Bildschirmen verbracht wird, seien einige Ursachen für das
Gewicht. Fettgewebeeinlagerungen führten zu früherer Reifung, darauf
gebe es klare Hinweise aus Tierversuchen. Der gegenteilige Effekt
zeigt sich bei Magersuchtpatientinnen oder
Hochleistungssportlerinnen, die häufig keinen Zyklus mehr haben.

Hinzu kommt laut Köhrle die Belastung mit hormonaktiven Substanzen,
sogenannten endokrinen Disruptoren, bereits in der Schwangerschaft.
«Dadurch werden mehr Fettzellen statt Muskel- und Knochenzellen
gebildet, besonders bei Mädchen.» Für die Belastung des Kindes über

die Mutter gebe es solide Daten aus Urin-Messungen von Schwangeren.

Hormonell wirksame Stoffe finden sich etwa in Kunststoffen und
Körperpflegeprodukten. In einer Studie untersuchte die
Umweltorganisation BUND im Jahr 2013 Kosmetika in Deutschland und
fand in nahezu jedem dritten Produkt solche Chemikalien, auch in
Babyschnullern und Zahnbürsten.

Die Substanz ist Bisphenol-A (BPA). Die EU schätzt diesen Stoff seit
Dezember 2017 als besonders besorgniserregend ein, auch weil er
fortpflanzungsschädigend sei. Ab 2020 ist die Verwendung von BPA in
Thermopapier in der EU verboten. Das Umweltbundesamt weist aber
darauf hin, dass es noch in vielen Alltagsprodukten wie
Trinkflaschen, Konservendosen und DVDs steckt.

«Bisphenol-A ist jetzt das Aufregerwort, aber es gibt eine ganze
Reihe von gefährlichen Substanzen, die einen giftigen Cocktail
ausmachen können», sagt Köhrle. Über die Hauptverursacher gebe es
aber zu wenige Informationen. «Ob es jetzt die Butterdose ist, die
Plastikfolie, in die das Essen eingewickelt ist, das Getränk, die
Kleidung oder einfach die Luft, die Substanzen finden sich überall»,
sagt Köhrle. Auch in medizinischen Produkten gebe es diese Stoffe,
zum Beispiel in weichen Kathetern oder Schläuchen.

Für Pflanzenschutzmittel hat die EU Kriterien für die Bestimmung von
hormonellen Stoffen festgelegt, die seit Juni 2018 verpflichtend
sind. Regelungen für Spielzeug, Kosmetika und
Lebensmittelverpackungen sind laut Kommission geplant. Die Deutsche
Gesellschaft für Endokrinologie kritisiert an der neuen Vorschrift
allerdings, dass es «zu viele Schlupflöcher im Bewertungssystem»
gebe, zu viele gefährliche Substanzen kämen durch. «Die Richtlinie
ist nicht rigide genug», sagt Präsident Köhrle.

Ähnlich sehen das europäische Umwelt- und
Verbraucherschutzorganisationen. 70 von ihnen, darunter der BUND und
Greenpeace, fordern von der EU-Kommission eine umfassende Strategie
zum Umgang mit solchen Substanzen. Aktuell gehe es nur darum, wie
hormonell wirksame Stoffe als solche identifiziert werden könnten.
Dies werde aber kaum dazu beitragen, solche Stoffe schnell zu
erkennen und aus dem Verkehr zu ziehen, sagt Ulrike Kallee,
BUND-Referentin für Chemie. «Die Nachweishürden zur Einstufung als
Hormongift sind dafür schlicht zu hoch.»

Die Organisationen sehen daher dringenden Handlungsbedarf, da solche
Substanzen auch mit hormonbedingten Krebserkrankungen, sowie
Fortpflanzungs- und Fruchtbarkeitsstörungen in Verbindung gebracht
werden.

Probleme in der Pubertät mit ihrem Körper haben wohl alle Kinder. Für

die, bei denen es sehr früh oder sehr spät losgeht, ist die Belastung
aber besonders groß. «Einige Studien zeigen, dass sowohl Früh- als
auch Spätentwickler durchschnittlich ein erhöhtes Risiko für
verschiedene soziale und emotionale Anpassungsstörungen haben», sagt
Entwicklungspsychologin Michaela Riediger von der Universität Jena.
«Besonders gut belegt ist ein erhöhtes Depressionsrisiko bei
vergleichsweise früh pubertierenden Mädchen.»

Eine frühere Pubertät bedeutet aber nicht automatisch einen früheren

Beginn des Sexuallebens. Wie die Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung für ihren Bericht 2015 ermittelt hat, ist die Zahl der
sexuell aktiven 14-Jährigen deutscher Herkunft wieder deutlich
zurückgegangen: Nach teilweise zweistelligen Werten im Zeitraum 1998
bis 2005 (zwischen 10 und 12 Prozent) liegen die Zahlen wieder im
einstelligen Bereich (zwischen 6 und 3 Prozent). Junge Menschen
fühlen sich demnach auch insgesamt viel besser aufgeklärt als noch in
den 80ern. 90 Prozent der 14- bis 17-Jährigen reden über Verhütung.