Joints und Tampons - Wie Marihuana in Washington «verschenkt» wird Von Can Merey, dpa

In Washington ist Cannabis zwar legal, verkauft werden darf es aber
nicht. Das hat einen skurrilen Graumarkt ins Leben gerufen, der viel
aussagt über die unternehmerische Kreativität der Amerikaner.

Washington (dpa) - Bäckereien haben in Washington normalerweise keine
Türsteher, diese hier im Norden der US-Hauptstadt allerdings schon -
wenn auch nur für einige Stunden. Der Grund: Hier werden an diesem
schwülen Sommerabend nicht Backwaren produziert, sondern Drogen
feilgeboten. Es geht um Cannabis-Produkte, und wenn man es rein
technisch betrachtet, dann werden die Rauschmittel nicht verkauft,
das wäre schließlich illegal. Sie werden verschenkt.

Hintergrund ist die Rechtslage in Washington: Fast mit einer
Zweidrittelmehrheit stimmten die Bewohner des Hauptstadt-Distrikts im
Jahr 2014 für die «Initiative 71», mit der Marihuana weitgehend
legalisiert wurde. Gegner im Kongress - dem US-Parlament -
verhinderten dann aber, dass der Verkauf erlaubt wurde.

Auf US-Bundesebene sind Cannabis-Produkte weiter illegal. Neun der 50
Bundesstaaten und die Hauptstadt haben den Freizeitkonsum inzwischen
trotzdem gestattet, in 21 weiteren Staaten kann Marihuana aus
medizinischen Gründen bezogen werden. Die frühere US-Regierung von
Präsident Barack Obama hat das Vorgehen der Bundesstaaten toleriert.
Obamas Nachfolger Donald Trump hat den Trend zur Legalisierung
bislang nicht gestoppt, auch wenn sein Justizminister Jeff Sessions
ein erklärter Cannabis-Gegner ist.

Noch als Senator sagte Sessions im April 2016: «Gute Menschen rauchen
kein Marihuana.» Dennoch wird inzwischen quasi vor Sessions Tür
gequalmt. In der US-Hauptstadt ist genau geregelt, was geht und was
nicht: Der Anbau von sechs Marihuana-Pflanzen ist gestattet, davon
dürfen aber nur drei gleichzeitig blühen. Erlaubt sind der Besitz von
Unzen (57 Gramm) Marihuana und die Weitergabe von der Hälfte dieser
Menge an Personen, die mindestens 21 Jahre alt sind. Das Alterslimit
ist einer der Gründe für die Türsteher vor der Bäckerei, die neben

den Taschen auch das Alter der Besucher kontrollieren.

Ausdrücklich untersagt ist allerdings, dass für die Weitergabe der
Rauschmittel bezahlt wird. «Washington ist jetzt die Heimat des
ungewöhnlichsten, basarähnlichen Marihuana-Marktplatzes der Nation,
wenn nicht der Welt», meinte im vergangenen April das US-Magazin
«Rolling Stone». Aus der «Initiative 71» heraus hat sich ein grauer

Markt in der Hauptstadt entwickelt, der viel aussagt über das
kreative Unternehmertum, für das Amerika seit jeher steht.

Wer heute durch Washington läuft, sieht kaum noch Zigarettenraucher,
die inzwischen beinahe den Status von Aussätzigen erreicht haben.
Dafür weht gelegentlich süßlicher Marihuana-Duft durch die Luft, auch

wenn der Konsum in der Öffentlichkeit eigentlich verboten ist. (Viele
amerikanische Kiffer halten es übrigens für eine europäische Unart,
Marihuana-Joints mit Tabak zu versetzen.)

Wie der Verkauf, Pardon, wie die Weitergabe der Drogen funktioniert,
lässt sich in der eingangs erwähnten Bäckerei beobachten. Hier findet

an diesem Abend ein sogenanntes Pop-Up-Event statt, eine nur
oberflächlich getarnte Verkaufsveranstaltung für Marihuana-Produkte.
Die Events werden über soziale Medien beworben, wer kommen möchte,
muss um eine Einladung bitten, die unkompliziert gewährt wird.

An einem der vielen Tische in dem von Marihuana-Rauch geschwängerten
Raum sitzt «Wicked», so möchte die 51-Jährige genannt werden. Ihr
Spitzname lässt sich mit «böse» oder «gottlos», umgangssprachli
ch
aber auch mit «geil» übersetzen. Ihren echten Namen möchte sie nich
t
veröffentlicht sehen.

Wicked «verkauft» zum Beispiel billige Armbänder. Wer zehn Dollar
hinblättert, bekommt eines der rosa Bänder aus Plastik - und dazu ein
«Geschenk», etwa einen Keks, versetzt mit Schokolade, vor allem aber
mit THC und CBD, zwei der wichtigsten Wirkstoffe von Marihuana - THC
wirkt berauschend, CBD schmerzlindernd. Zu haben sind auch bunte
Gummibärchen und Lutscher, die besser außerhalb der Reichweite von
Kindern aufbewahrt werden sollten. Alle Produkte sind versetzt mit
THC und/oder CBD.

Zu Wickeds Angebotspalette gehören sogar Tampons. Ob die wirklich
ihre Wirkstoffe entfalten? «Oh yeah», sagt Wicked mit breitem
Grinsen. Für die Gleitmittel auf dem Tisch gelte das übrigens
ebenfalls. Wer zufällig kein Armband braucht, kann Wicked einfach
Geld «spenden».

Wicked hat einen eher exotischen Stand, auf den Tischen um sie herum
werden auch klassische Marihuana-Blüten angeboten. Wer es bequem mag,
kann fertige Joints oder THC-Konzentrat «geschenkt» bekommen, indem
er etwa einen Aufkleber «kauft». Und nicht nur bei den Pop-Up-Events
lässt sich Marihuana besorgen. Man kann sich die Rauschmittel auch
einfach nach Hause kommen lassen.

Etwa, indem man bei einem einschlägigen Anbieter im Internet das Foto
eines wilden Fuchses herunterlädt. Selbst Liebhaber von Füchsen
dürften die Ansicht teilen, dass der Preis für den Download etwas
steil ausfällt, auch wenn man die Rechte zur Weiterverwendung des
Bildes gleich miterwirbt: Zwischen 50 und 275 Dollar werden dafür
fällig. Der Clou: Dazu gibt es ein «Geschenk», das nach Hause
geliefert wird, etwa Marihuana vom Typ «Weißes Gold».

Der Blogger Joe Tierney raucht «Weißes Gold» und ähnliches qua Beru
f.
Ihm hat die «Initiative 71» die Selbstständigkeit beschert, seinen
Blog «Gentleman Toker» («Gentleman-Kiffer») betreibt er seit Oktobe
r
in Vollzeit. Tierney kann dem grauen Markt einiges abgewinnen - eben
weil die sonderbaren Umstände so viel Kreativität hervorrufen.

So hätten beispielsweise Rapper erfolgreich ihre CDs damit beworben,
dass sie «Geschenke» dazu liefern würden, sagt Tierney. Es gebe sogar

Motivationsredner, die auf Bestellung nach Hause kämen - CO2-neutral
in der U-Bahn, natürlich mit einem berauschenden Präsent im Gepäck.

Beim Treffen in einem Donut-Laden ist Tierney gut gelaunt, ab und an
verliert er den Gesprächsfaden, schließlich hat er eben noch
gearbeitet. Tierneys Geschäftsmodell funktioniert so: Anbieter
schicken ihm Marihuana-Produkte zum Test und zur Besprechung,
gleichzeitig schalten sie Werbeanzeigen auf seiner Seite.

Für Tierney heißt das, dass er meistens bekifft ist. Selbst er wäre
allerdings nicht undankbar, wenn er zwischendurch mal runterkommen
könnte. «Ich mache keine Pause. Ehrlich gesagt, könnte ich ab und zu

eine gebrauchen.» Dann werde aber doch wieder jemand vorstellig,
dessen Produkt er besprechen solle. Seine Antwort: «Na gut, ich werde
besser high.»