Die K-Frage: Rasanter Anstieg beim Kindergeld alarmiert Städte Von Georg Ismar, dpa

Es ist seit Jahren ein Reizthema - und neue Zahlen liefern den
Oberbürgermeistern weitere Argumente. Die Zahl ausländischer
Kindergeldempfänger ist in den ersten sechs Monaten 2018 stark
angewachsen. Gibt es dabei einen massenhaften Betrug?

Duisburg/Berlin (dpa) - Sören Link platzt langsam der Kragen, wenn er
die vermüllten Vorgärten in einigen Stadtvierteln Duisburgs
sieht. «Wir haben rund 19 000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien in

Duisburg, Sinti und Roma. 2012 hatten wir erst 6000», sagt der
SPD-Oberbürgermeister der Ruhrgebietsstadt. Die Nachbarn fühlten
sich «nachhaltig gestört durch Müllberge, Lärm und Rattenbefall
».

Einige der Neu-Duisburger kommen nicht, weil sie die Stadt so reizt,
sondern weil sie das deutsche Kindergeld lockt. 194 Euro für die
ersten zwei, 200 Euro für das dritte Kind, für jedes weitere Kind 225
Euro im Monat. Nach EU-Angaben beträgt das Durchschnittsgehalt in
Rumänien 715 Euro brutto. Einen Kindergeldanspruch haben EU-Bürger

grundsätzlich in dem Mitgliedstaat, in dem sie arbeiten oder
wohnen. Versuche für eine Reform in der EU sind bisher gescheitert.


Das Beantragen von Kindergeld ist denkbar einfach. Man meldet sich
als Familie in Deutschland mit einem festen Wohnsitz an. Dann geht
die Meldung an die Familienkasse, die überprüft das Vorliegen von
Kindern und zahlt das Geld aus. «Ob die Kinder in Deutschland leben,
ob sie in Rumänien oder Bulgarien leben, ob sie überhaupt existieren,
das ist dann noch mal eine ganz andere Frage», sagt OB Link. 

Auch der Deutsche Städtetag sieht Probleme, Hauptgeschäftsführer
Helmut Dedy betont aber: «Die meisten Menschen aus Südosteuropa sind
in Deutschland gut integriert.» Da sind zum Beispiel bestens
ausgebildete Pflegekräfte aus Polen, ohne die in vielen Heimen nichts
mehr laufen würde.

Die neuesten Kindergeldbezugszahlen sind allerdings brisant. «Im Juni
2018 wurde für 268 336 Kinder, die außerhalb von Deutschland in der
Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben,
Kindergeld gezahlt», sagt ein Sprecher von Bundesfinanzminister Olaf
Scholz (SPD). Das ist ein Empfängerkreis, der in etwa der
Einwohnerzahl Gelsenkirchens entspricht. Ein Plus von 10,4 Prozent im
Vergleich zum Stand Ende 2017 (243 234 Empfänger). Die meisten
ausländischen Kindergeldbezieher sind demnach polnischer Herkunft,
gefolgt von Tschechien, Kroatien und Rumänien.

Mit Ausweitung der EU-Freizügigkeit auf Osteuropa hat sich auch die
Zahl von Kindergeldbeziehern im Ausland stark erhöht. 2010 zahlte der
deutsche Staat noch 89 261 Empfängern Kindergeld - davon waren rund
31 500 deutsche Staatsbürger, die im Ausland leben. Diese Zahl ist
bis heute konstant geblieben, während die Zahl von Beziehern mit
Ursprung in Osteuropa steigt: Rumänien tauchte 2010 noch gar nicht in
der Statistik auf, aus Bulgarien waren es 12. Ende Juni gab es 18 850
rumänische Empfänger und rund 7000 aus Bulgarien.   

Betrug ist oft schwer nachzuweisen - aber Duisburgs OB Link hat mit
den Behörden ein Schema ausgemacht. «Wir müssen den kriminellen Sum
pf
der Schlepper austrocknen, die Menschen in Rumänien und Bulgarien
anwerben und hierhin bringen in Wohnungen, in denen wir selbst alle
nicht leben wollen.» Es sei zudem ganz oft so, dass der Vermieter
auch der Arbeitgeber oder Scheinarbeitgeber sei. «Die haben das als
Geschäftsmodell erkannt: sie vermieten zu horrenden Mieten
Schrottimmobilien, die eigentlich nicht mehr bewohnbar sind, und der
Staat zahlt Kindergeld und Sozialleistungen.» Wie viel Geld am Ende
davon die Banden dahinter einkassieren, das ist ein Dunkelfeld. 

Zwar zahlt das Kindergeld der Bund, die Städte müssen aber oft noch
Kosten für die Unterkunft zuschießen. Das größte Problem ist die
Gefahr für den sozialen Frieden, ein Konjunkturprogramm für die
AfD? 2017 wurden 35,5 Milliarden Euro an Kindergeld auf Konten im
Inland überwiesen und bereits 343 Millionen auf Konten im Ausland.
Das sagt erstmal wenig, da sich auch im Ausland tätige deutsche
Staatsbürger Kindergeld dorthin überweisen lassen können.

Aber rechnet man nur die Zahl der Kindergeldempfänger im Ausland
hoch, geht es um einen Betrag von rund 600 Millionen Euro im Jahr -
mithin um einen hohen Millionenschaden. Schlagzeilen machte auch ein
Fall aus Bremerhaven, wo durch Scheinarbeitsverträge vor allem für
Bulgaren Sozialleistungen unberechtigt beantragt und gezahlt worden
sind. Es entstand ein Schaden von 5,5 Millionen Euro.

In Sachen Kindergeld räumte die Bundesregierung auf eine AfD-Anfrage
ein, dass eine Bundesstatistik über Missbrauchsfälle bisher nicht
existiert. Immer wieder werden scheinbar gefälschte Geburtsurkunden
für nicht existierende Kinder oder Schulbescheinigungen vorgelegt,
obwohl die Kinder gar nicht in Deutschland leben. In welchem
konkreten Land die Kinder tatsächlich leben, ist in der Regel nicht
bekannt, räumt das Finanzministerium ein. SPD-Chefin Andrea Nahles
kennt das Problem aus ihrer Zeit als Arbeitsministerin. Sie könnte
sich die sogenannte Indexierung vorstellen, die Anpassung der
Kindergeldzahlungen an die Lebenshaltungskosten im Ursprungsland -
das könnte die Kosten um mehrere Hundert Millionen Euro reduzieren.

Im Rahmen ihrer Sommerreise besuchte Nahles jüngst auch den Fürther
Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) - und konnte sich einiges
anhören. Jung sieht das Problem in rund 20 Städten rasant anwachsen,
vor allem dort, wo Mieten günstig sind. Nahles verweist auf EU-Recht,
da seien Berlin die Hände gebunden.

Doch der Druck wächst, etwas zu tun. In betroffenen Städten droht das
Fundament eines versöhnlichen Miteinanders wegzubrechen. Jung und
sein Duisburger Kollege Link fordern die Koalition von Kanzlerin
Angela Merkel (CDU) zum Handeln auf, auch auf EU-Ebene. «Ich gebe es
ständig in Düsseldorf und Berlin zu Protokoll und bitte um Abhilfe»,

sagt Link frustriert. 

Die rechtspopulistische AfD hat die Thematik wiederholt im Bundestag
angeprangert - Link mahnt, die große Koalition von Union und SPD
dürfe sich nicht weiter wegzuducken. «Hier geht es auch um das
Vertrauen der Menschen vor Ort, die das Tag für Tag mitbekommen.» Das

widerspreche alles dem Sinn der europäischen Freizügigkeit. Diese
habe das Ziel, woanders eine Arbeit zu finden, nicht in das
Sozialsystem einzuwandern und staatliche Gelder abzukassieren.