Merkels heißer Herbst Von Jörg Blank, dpa

Die Kanzlerin kehrt zurück auf die politische Bühne. Hat sie sich in
der Sommerpause vom Migrationsstreit erholt? Es kommen knifflige
Verhandlungen auf sie zu. Und vor allem: Was macht die CSU?

Berlin (dpa) - Es war nur eine kurze Verschnaufpause, mehr nicht. Gut
zweieinhalb Wochen hat sich die Kanzlerin Zeit genommen, um nach dem
quälenden Streit mit der CSU über die Zurückweisung von Migranten an

der Grenze wieder Kraft zu schöpfen. Doch wenn Angela Merkel nach
ihrem Urlaub an diesem Samstag Richtung Andalusien aufbricht, steht
wieder jenes Thema im Mittelpunkt, das sie schon zu Beginn ihrer
vierten Regierungsperiode beinahe das Kanzleramt gekostet hätte: die
Migration.

Wie startet die 64-Jährige in den sich abzeichnenden heißen
politischen Herbst? Geschwächt, wie ihre Kritiker sie nach dem
Unionskrach im Juli sahen? Oder ausgeschlafen und erholt, wie sie es
sich selbst gewünscht hat?

«Ich will nicht verhehlen, dass ich mich freue, dass ich jetzt ein
paar Tage Urlaub habe und etwas länger schlafen kann», mit diesen
Worten verabschiedet sich Merkel am 20. Juli in den Urlaub. Danach
löst sie mit der Entscheidung, ihren Ehemann Joachim Sauer anders als
üblich nicht zur Wandertour nach Südtirol zu begleiten, erstmal
Spekulationen im Berliner Sommerloch aus. Kriselt die Ehe? Kümmert
sich die Kanzlerin in der Uckermark um ihre hochbetagte Mutter? Macht
sie sich vielleicht bei einer Entschlackungskur fit?

Offiziell gibt es zu Merkels Urlaubsaktivitäten keine Stellungnahme,
getreu Merkels Motto, dies sei Privatsache. Dafür zeigt sie sich in
den vergangenen beiden Wochen bei Kulturterminen in Bayreuth oder
München gelöst mit ihrem Gatten. Zuletzt am Sonntagabend bei den
Salzburger Festspielen und der Premiere von Tschaikowskys
fantastischer Oper «Pique Dame». Damit will sie wohl auch
demonstrieren: Nix dran an den Gerüchten.

Am Mittwoch präsentiert die stellvertretende Regierungssprecherin
Ulrike Demmer dann zum Arbeitsbeginn Merkels nach dem Urlaub - «Die
Bundeskanzlerin ist immer im Dienst» - einen prall gefüllten
Terminkalender. Nach dem Trip zum spanischen Ministerpräsidenten
Pedro Sánchez am Wochenende geht es am Montag und Freitag bei
Politikerbesuchen aus Bosnien-Herzegowina und Montenegro um die Lage
auf dem Westbalkan und die Annäherung beider Länder an die EU. Am
Mittwoch ist der Präsident von Niger bei Merkel zu Gast, Issoufou
Mahamadou. Themen: Migration und Fluchtursachen in Afrika.

Trotz des überraschend schnellen Erfolgs von Innenminister Horst
Seehofer (CSU) bei den Verhandlungen über ein Rücknahmeabkommen mit
Spanien für Migranten wird sich Merkel aber kaum einer Illusion
hingeben. Der Streit mit der CSU über die Zurückweisung von Migranten
an der deutschen Grenze und das eine Zeit lang im Raum stehende
bundesweite Antreten der CSU dürfte noch längst nicht völlig
ausgeräumt sein. Die Auseinandersetzung habe zu nichts Gutem geführt,
sind sich Merkel-Unterstützer einig. Schließlich krebse die Union in
Umfragen bei 30 Prozent herum.

In CDU-Kreisen, die der Kanzlerin eher wohlgesonnenen sind, hofft man
nun, dass Seehofer, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und
Ministerpräsident Markus Söder vor der für sie so wichtigen
bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober kein Interesse haben, den
Machtkampf vehement fortzusetzen. Denn die Erfahrung zeige: Nach
jedem Streit sinke die Union in den Umfragen nur noch weiter. Dennoch
glauben bei den Christdemokraten nur wenige, dass die Bayern
tatsächlich die Füße stillhalten.

Andererseits ist die These zu hören, es könne durchaus lehrreich
gewesen sein, dass man in den Abgrund geschaut habe. Viele aus der
CDU-Führungsriege hätten Farbe bekannt, dass sie genauso wie die
Parteichefin keine signifikante Kurs-Verschiebung in Richtung
erzkonservativ wollten. Die Namen von Hessens Ministerpräsident
Volker Bouffier und seiner Kollegen Armin Laschet (NRW) und Daniel
Günther (Schleswig-Holstein) fallen dabei genauso wie jener des
Fraktionschefs, Volker Kauder.

Dass sich Merkel-Kritiker wie Gesundheitsminister und
CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn oder Vertreter der in der
Parteiführung eher als Randgruppe eingeschätzten «Werteunion» in de
n
Monaten bis zum Parteitag Anfang Dezember besonders zurückhalten,
damit rechnet man im Kreis um die Kanzlerin allerdings auch nicht.

In Hamburg will sich Merkel zur Wiederwahl stellen. Ganz entscheidend
für die Stimmung in der Partei dürfte dann sein, wie der bekennende
Merkel-Unterstützer Bouffier bei der Landtagswahl in Hessen am 28.
Oktober abschneidet. Zuletzt war dessen schwarz-grüne Koalition in
Umfragen ohne Mehrheit. Und auch das CSU-Ergebnis in Bayern dürfte
nicht ohne Wirkung auf Merkels Wiederwahl bleiben.

Am Dienstag kann sich die CDU-Chefin erstmals seit dem Unionsstreit
und dem Urlaub ein direktes Bild von der Stimmung bei den Bürgern
machen. In Jena will sie sich Fragen zur Zukunft Europas stellen.

Nicht nur unionsinterne Querelen dürften Merkel einen heißen Herbst
bescheren. In Europa und der Welt zeichnet sich keine Lösung der
schwelenden Krisen ab. Migrationsdruck, Brexit, Syrien-Krieg und die
Drohungen von US-Präsident Donald Trump mit einem Handelskrieg sind
nur einige Stichworte.

Am 7. September, kurz bevor der Bundestag zur ersten Sitzung nach der
Sommerpause zusammenkommt, dürfte Merkel mit den Staats- und
Regierungschefs Russlands, Frankreichs und der Türkei in Istanbul bei
einem Vierer-Gipfel über die Lage im Bürgerkriegsland Syrien beraten.

Drei Wochen später, am 28. und 29. September, wird der schwierige
türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan dann zum Staatsbesuch
in Berlin erwartet. Er wird auch die Kanzlerin treffen. Schon damit
ihre Rolle bei den internationalen Verhandlungen nicht weiter
geschwächt wird, dürfte Merkel hoffen, dass die Regierungskrise in
Berlin nicht erneut aufbricht - eine weiter angeschlagene Kanzlerin
hätte dann einen schweren Stand.