Weniger Tierärzte wollen Nutztiere behandeln Von Anne-Sophie Galli, dpa

An den Tierhochschulen studieren fast nur Frauen - und die wollen
sich meist um Haustiere und nicht um Rinder und Schweine kümmern.
Dieser Trend macht Bauern Sorgen, und auch Nutztierpraxen versuchen
viel, um die Absolventinnen aufs Land zu locken.

Hohne (dpa) - Doktor Susanne Lier versteht, warum viele Kolleginnen
ihren Job nicht machen wollen. Zwar liebt die Tierärztin ihren Beruf
- besonders gerne untersucht sie mit dem Ultraschall, ob Kühe
trächtig sind. Aber auch sie grübelt manchmal, wenn sie die kranken
Tiere nicht retten darf, selbst wenn sie könnte. Denn manchmal sind
Behandlungen für die Bauern zu teuer.

Viele Kühe hätten Klauenprobleme, weil sie meist auf hartem Boden
stehen - und dann geht es zum Schlachter statt zum Tierarzt. «In der
Nutztiermedizin muss man leider immer die Wirtschaftlichkeit des
Tieres im Blick behalten», sagt die 36-jährige Rinderspezialistin aus
Hohne in Niedersachsen. «Landwirte können nichts dafür, aber manchmal

ist das hart.»

Doch die Nutztierpraktikerin hat selten Zeit nachzudenken. Viele
ältere Kollegen gehen in den Ruhestand, und sie ist für immer mehr
Bauernhöfe zuständig. Denn heutzutage wollen sich nach Angaben des
Bundesverbands praktizierender Tierärzte die meisten jungen
Veterinäre statt auf Rinder, Schweine oder Hühner auf Haustiere
spezialisieren.

Ein Hauptgrund: Seit rund 20 Jahren sind 80 bis 90 Prozent der
Studierenden an den fünf tiermedizinischen Hochschulen in Deutschland
Frauen - und die haben meist eine Präferenz für Hunde, Katzen und
Meerschweinchen, wie Zahlen der Bundestierärztekammer zeigen. «Viele
Studentinnen reiten, sie wollen allen Tieren helfen und lehnen die
industrielle Nutztierhaltung ab», sagt die Schweinefachärztin Inge
Böhne, die seit mehr als 30 Jahren eine Praxis in Melle hat.
«Studenten hingegen kommen meist aus Familien mit Bauernhöfen oder
Nutztierpraxen.»

2006 gab es bundesweit noch 2631 Nutztierpraktiker, im vergangen Jahr
waren es 1125 - weniger als halb so viele. Gleichzeitig gab es 2006
4673 Ärzte für Haustiere, 2017 waren es schon 6099. Zusätzlich gibt
es Ärzte, die Haus- und Nutztiere behandeln. Zurzeit arbeiten noch
etwa gleich viele Männer und Frauen als Veterinäre. Der Präsident der

Tierärztlichen Hochschule Hannover, Gerhard Greif, schätzt jedoch,
dass in den nächsten Jahren mehr als 80 Prozent Frauen den Job
ausüben werden. Diesen Trend beobachtet er in ganz Europa. Vor 30, 40
Jahren dominierten noch Männer den Beruf.

Dem Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken,
bereitet der Rückgang der Nutztierpraktiker Sorgen: «In Gebieten mit
wenigen Nutztieren wird es für Landwirte immer schwieriger, gute
Spezialisten für Schweine und Rinder zu finden.» An Orten mit vielen
Großbetrieben mit Tausenden Hühnern, Schweinen und Rindern, gebe es
zurzeit aber noch genügend Tierärzte - besonders weil es immer
weniger und dafür größere Betriebe gebe. Für die Sprecherin vom
Bundesverband Praktizierender Tierärzte, Astrid Behr, ist jedoch
klar: «Wenn der Trend weitergeht, wird die landwirtschaftliche
medizinische Versorgung zum Problem.»

Die meisten Nutztierpraxen sind auf dem Land und müssen 24 Stunden
pro Tag für ihre Landwirte da sein, denn diese erwarten, dass ihr
Doktor auch mitten in der Nacht kommt, wenn eine ihrer Kühe für eine
schwierige Geburt einen Kaiserschnitt braucht. Viele Frauen wollen
jedoch wegen Kindern Teilzeit arbeiten, und das geht einfacher in
Kleintierpraxen. Zudem wollten viele Absolventen nicht aufs Land
ziehen, nachdem sie während des Veterinärstudiums die
Annehmlichkeiten der Städte Berlin, München, Leipzig, Hannover oder
Gießen genossen hätten, sagt der Geschäftsführer der Tierärztekam
mer
Niedersachsen, Holger Lorenz.

Gleichzeitig wächst der Kleintiergesundheitsmarkt stark und bietet
Absolventen viele Jobs in den Städten. Immer mehr Haustierbesitzer
sind bereit, mehrere Hundert Euro für Operationen oder
Computertomographie zu bezahlen. Insgesamt geben Deutsche pro Jahr
mehr als zwei Milliarden Euro für Besuche ihrer Hunde, Katzen,
Reptilien, Nagetiere, Vögel und Zierfische bei Tierärzten,
Tierhomöopathen, Tierheilpraktikern, Tierphysiotherapeuten sowie für
Medikamente aus, wie aus einer Studie der Universität Göttingen
hervorgeht.

Um Tierärztinnen und Arzthelferinnen trotzdem anzulocken, bieten
einige Nutztierpraxen mehr Lohn, sagt Lorenz. Durchschnittlich
verdient ein angestellter Nutztierpraktiker 40 000 Euro pro Jahr -
mehr als ein angestellter Heimtiermediziner, der 32 500 Euro erhält,
wie Forscher der Freien Universität Berlin herausfanden. Mehr
Nutztierpraktiker entscheiden sich inzwischen in größeren Praxen zu
arbeiten, die den Nacht- und Wochenendnotdienst aufteilen. Das tut
auch Doktor Susanne Lier, die Mutter ist und ihre Praxis mit einer
Kollegin führt und sieben Angestellte hat. «So ist die Arbeit
familienverträglicher.»