Krankenpfleger schlagen Alarm: «Wir spielen jeden Tag Risiko» Von Bettina Grönewald, dpa

Patientenversorgung im Akkord und selbst keine Zeit für einen Schluck
Wasser. Krankenpfleger schlagen Alarm. Die knappe Personaldecke
bringe sie an ihre Grenzen und gefährde das Wohl der Patienten: «Wir
spielen jeden Tag Risiko».

Düsseldorf (dpa) - Die Gesundheit von Patienten und Personal wird
laut Vereinter Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) durch drastischen
Pfleger-Mangel in den deutschen Krankenhäusern gefährdet. Nach
Berechnungen der Gewerkschaft fehlen bundesweit rund 80 000 Pfleger
in den Kliniken. Die Gesundheitsexpertin der Gewerkschaft, Sylvia
Bühler, stellte am Montag in Düsseldorf eine neue Erhebung vor.

Verdi hatte nach eigenen Angaben von Anfang März bis Ende Mai in 166
Krankenhäusern rund 13 000 Beschäftigte nach ihren Schichtplänen
befragt und das Stellendefizit auf dieser Basis hochgerechnet.
Demnach müsste die Stellenzahl zusätzlich zu den rund 370 000
Pflegern um 22 Prozent erhöht werden, um alle Schichten in den
Krankenhäusern ausreichend zu besetzen.

Die Praxis sehe leider ganz anders aus, berichtete Esther Hasenbeck,
Krankenpflegerin im Universitätsklinikum Essen. Im Nachtdienst seien
während der Erhebung auf ihrer Station nur zwei Pfleger für 36
Patienten zuständig gewesen. Die Verantwortung, unter diesen
Bedingungen für jeden Einzelnen die richtigen Tabletten und
Infusionen bereitzustellen und jeden komplett zu versorgen, sei
immens. «Da passieren leider Fehler auf menschliche Kosten»,
berichtet die 32-Jährige über Erfahrungen aus zehn Berufsjahren.

Nach Berechnungen von Verdi müssten die Krankenhäuser im Schnitt
schon am 25. eines Monats schließen, weil das Personal bis zu diesem
Stichtag bei ausreichender Schichtbesetzung schon aufgebraucht wäre.
Natürlich tut das keine Klinik. Wo gibt es also Einschnitte?

«Sparen tun wir hauptsächlich an unserer eigenen Gesundheit», erklä
rt
Hasenbeck. «Es sind bestimmt mehr als 100 Dienste vergangen, wo ich
nicht einen Schluck Wasser getrunken habe, weil ich keine Zeit dazu
hatte und mit Sicherheit noch mehr Dienste, wo ich nicht auf Toilette
gegangen bin oder einmal in ein Butterbrot gebissen habe», schildert
sie ihren belastetenden Alltag. «Aber natürlich leidet auch der
Patient.»

Das weiß auch die Siegener Altenpflegerin Daniela Höfer. Der
Personalschlüssel müsse so sein, dass Aufgaben wie Sterbebegleitung,
Notfälle, Herzinfarkte, Schlaganfälle, Angehörigen- und Arztgespräc
he
ohne Überforderung des Personals erfüllt werden könnten, fordert die

46-Jährige. Da dies häufig nicht der Fall sei, gäben manche schon
während der Ausbildung auf, andere flüchteten sich in Teilzeit oder
müssten wegen eines Burnouts aufhören zu arbeiten.

Hinzu komme die schlechte Bezahlung, die Verdi mit fairen
Tarifverträgen verbessern will. Ihren Angaben zufolge liegt der
Durchschnittslohn für Krankenpflegefachkräfte bei rund 3200 Euro, in
der Altenpflege sogar nur bei rund 2600 Euro.

In den Krankenhäusern habe sich das Pfleger-Defizit im Vergleich zur
letzten Verdi-Erhebung 2013 um weitere 10 000 Stellen vergrößert,
bilanzierte Gesundheitsexpertin Bühler. Die Lage sei in allen
Bundesländern etwa gleich schlecht. In der Altenpflege habe Bayern
die beste Personalausstattung. In Nordrhein-Westfalen fehlten rund
18 000 Pfleger in den Kliniken.

«Wir haben den Beruf gewählt, weil wir Kranken und Alten helfen
wollen», stellt Hasenbeck fest. «Nach spätestens zwei Jahren ist
dieser Grundgedanke vernichtet. Wir spielen jeden Tag Risiko.
Würdevoll ist zurzeit nichts mehr an unserer Versorgung. Man möchte
eigentlich nur noch jeden Tag weinend nach Hause gehen.»

Das wollen Hasenbeck und Höfer zusammen mit anderen Demonstranten am
Mittwoch bei einer Kundgebung anlässlich der
Gesundheitsministerkonferenz (20. bis 21. Juni) in Düsseldorf auch
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) klarmachen. Der Vorsitzende der
Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, appellierte an die
Gesundheitsminister, eine klare Antwort auf die Personalfragen zu
geben.