Europaparlament: Ist bald Schluss mit der Karawane ins Elsass? Von Sebastian Kunigkeit und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Die Debatte über den Sitz des Europaparlaments in Straßburg ist
vielleicht so alt wie die Institution selbst. Kanzlerin Angela Merkel
und ihr österreichischer Kollege Kurz bringen sie wieder in Schwung.

Straßburg (dpa) - Es ist wieder soweit: Straßburg-Woche. Mehr als 700
Europaabgeordnete sind seit Montag mit frischer Wäsche für vier Tage,
mit Hunderten Mitarbeitern und tonnenweise Akten zur Plenarsitzung im
Elsass. Und pünktlich zum monatlichen Ritual der Parlamentsnomaden
ist auch die Debatte zurück: Dieser Aufwand, diese Kosten, diese
Umweltlasten - muss das sein? Warum stoppt niemand den Wanderzirkus?

Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz fing vorige Woche damit
an. Der doppelte Parlamentssitz in Straßburg und Brüssel sei «Unsinn
»
in einer Zeit, da Europa sparen müsse, sagte der Konservative. Dann
stimmte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ein und betonte: «Die
Arbeit des Europäischen Parlaments sollte auf einen Standort
konzentriert werden.»

Damit rennen sie bei vielen Abgeordneten offene Türen ein. «Den
Bürgerinnen und Bürgern in Europa ist nicht vermittelbar, dass das
Parlament den Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg
aufrechterhält», sagte der sozialdemokratische Fraktionschef Udo
Bullmann der Deutschen Presse-Agentur am Montag. «Wir sind auf jeden
Fall dafür, das Europaparlament an einem Standort zu konzentrieren.»

Derzeit sind es drei Standorte. Drei Wochen im Monat arbeiten die
Abgeordneten, wenn nicht im Wahlkreis, dann in Brüssel in einem voll
ausgestatten Parlamentskomplex samt Plenarsaal. Dann kommt die
Straßburg-Woche, und das halbe Europaviertel setzt sich mit
Lastwagen, Sonderzügen oder Fliegern in Bewegung. Die Verwaltung des
Hauses sitzt in Luxemburg.

Es fiel schon bei früherer Gelegenheit auf, dass das alles ziemlich
aufwendig ist. Genaugenommen ist die Debatte über den Parlamentssitz
vielleicht so alt wie die Institution selbst. Voriges Jahr wurden die
sieben Kandidaten vor der Wahl des Parlamentspräsidenten gefragt, ob
sie für einen Einheitsstandort seien. Sieben von sieben sagten: Ja.

Vor fünf Jahren probten Abgeordnete den Aufstand gegen den
Wanderzirkus. Vor sieben Jahren auch. Und vor zehn Jahren. Und vor
zwölf Jahren. Schon Simone Veil, 1979 Präsidentin des ersten direkt
gewählten EU-Parlaments, kämpfte gegen die «Karawane» ins Elsass.

Die Argumente sind in all den Jahren weitgehend unverändert. «Die
Kosten für die Pendelei betragen bis zu 200 Millionen Euro pro Jahr,
und es werden 11 000 bis 19 000 Tonnen CO2 produziert», weiß zum
Beispiel der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. Nach offiziellen
Angaben fallen mehr als 3100 Dienstreisen pro Monat nur wegen der
Verteilung der Standorte an. Das Straßburger Parlament wird nur 42
Tage im Jahr genutzt wird, muss aber das ganze Jahr klimatisiert und
betrieben werden, wie es in einer Resolution von 2013 heißt.

Viele Abgeordnete sind schlicht genervt von dem ständigen Hin und
Her, und sie fürchten den Zorn der Steuerzahler. «In einer Zeit in
der in Europa überall gespart werden muss, ist dies aus meiner Sicht
nicht mehr verantwortlich», sagt Liese. Er zeigt sich deshalb
begeistert von der neuen Initiative Kurz-Merkel.

In all den Jahren stach aber auch immer dasselbe Gegenargument:
Frankreich ist gegen eine Verlegung und sitzt am längeren Hebel. Denn
der Sitz des Hauses ist historisch gewachsen und in den EU-Verträgen
festgeschrieben. Dies könnten die 28 EU-Staaten nur einstimmig
ändern, aber Paris macht nicht mit.

Die Wanderzirkus-Gegner wissen das und versuchen, die französische
Regierung mit allerlei charmanten Gegenangeboten zu umgarnen. Als es
im Frühjahr 2017 um die Verlegung von EU-Agenturen aus Großbritannien
nach dem Brexit ging, wurde die Idee gestreut, man könnte ja die
Europäische Arzneimittelagentur EMA in Straßburg ansiedeln. Hunderte
gut bezahlte Fachleute samt Kongresstourismus wären wirtschaftliche
Entschädigung für den Verlust des Parlaments. Aber die Idee zog nicht
und die EMA zieht nun nach Amsterdam.

Jetzt brachte die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke eine schöne neue
Europa-Uni im Parlamentsgebäude ins Gespräch. Liese sagt: «Wir
brauchen gute Argumente und man muss auch ein überzeugendes Angebot
machen, wie der Verlust für die Stadt Straßburg kompensiert werden
kann.»

Doch lässt sich Frankreich umstimmen? So weitgehend die Reformpläne
von Staatschef Emmanuel Macron für die EU auch sind - in dieser Frage
blieb er bisher ganz bei der französischen Linie: Auf den
Parlamentssitz in Straßburg verzichten? Ein No-Go.

«Ich bin nicht für ein Europa, dessen Entscheidungszentren alle am
gleichen Ort wären», sagte Macron jedenfalls im April der
elsässischen Zeitung «Dernières Nouvelles d'Alsace». Er hänge dar
an,
europäische Institutionen und Agenturen in verschiedenen Ländern zu
haben. «Ich habe mehrfach gesagt, dass ich am Standort Straßburg
festhalte», betonte Macron. «Ich werde bei der entscheidenden Rolle
Straßburgs als europäische Stadt und Stadt der europäischen
Institutionen nicht nachgeben.»