Sachverständige: Einwanderungsgesetz nicht nur von oben verordnen Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Die Koalition will in dieser Legislaturperiode ein
Einwanderungsgesetz vorlegen. Migrationsexperten sagen: Der Wert
eines solchen Gesetzes liegt auch in der längst überfälligen
gesellschaftlichen Debatte, die so ein Vorhaben zwangsläufig auslöst.

Berlin (dpa) - Für die Union war ein Einwanderungsgesetz lange Tabu.
Das hat sich geändert. Gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPD wollen
CDU und CSU in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorlegen,
der zumindest die Einwanderung von Fachkräften umfassend regeln soll.

Die Vorsitzende im Innenausschuss des Bundestages, Andrea Lindholz
(CSU), dämpft aber schon jetzt die Erwartungen. Sie sagt, die
existierenden Regelungen seien schon sehr weitreichend. Zudem lasse
das EU-Recht auf diesem Gebiet ohnehin nicht allzu viel
Gestaltungsspielraum. Lindholz findet es dennoch gut, dass dieses
Gesetz jetzt in Planung ist, «weil es für die Akzeptanz wichtig ist,

alle Regelungen in einem Gesetz zu bündeln».

Die Experten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für
Integration und Migration (SVR) erklären in ihrem aktuellen
Jahresgutachten: Ja, ein Einwanderungsgesetz ist gut. Aber nur wenn
der Gesetzgebungsprozess von einer breiten öffentlichen Debatte
begleitet wird. Gleichzeitig warnen die Wissenschaftler in ihrem
Jahresgutachten 2018 vor dem Trugschluss, Migration und Integration
ließen sich per Gesetz passgenau steuern. 

Die Feststellungen und Vorschläge der Sachverständigen im Einzelnen:

Staatsbürger anderer EU-Länder gehören seit Jahren zu den größten

Zuwanderungsgruppen in Deutschland. Das wird in der Öffentlichkeit
aber kaum wahrgenommen. In den vergangenen Jahren lag ihr Anteil an
allen Zuwandernden jeweils bei über 50 Prozent - abgesehen vom
«Flüchtlingsjahr 2015».  

Schaut man auf die Zuwanderer, die für einen Job nach Deutschland
kommen, sieht man: Der Anteil der Erwerbsmigranten an der gesamten
Zuwanderung lag im Jahr 2015 bei rund 22 Prozent. Er war damals
aufgrund des starken Zuzugs von Flüchtlingen ungewöhnlich
niedrig. 2016 kam schon wieder ein Viertel der Ausländer, um einen
Job anzutreten. Für 2014 belief sich der entsprechende Wert auf etwa
33 Prozent. Bei den restlichen Zuwanderern handelte es sich unter
anderem um Menschen, die über den Familiennachzug kamen, sowie um
Flüchtlinge und Studenten. 

Die deutschen Zuwanderungsregelungen für hoch qualifizierte
Fachkräfte mit akademischer Ausbildung sind nach Einschätzung des SVR
inzwischen relativ liberal. Ähnliche Regelungen sollten nach Ansicht
der Experten künftig auch für beruflich Qualifizierte ohne
Hochschulabschluss gelten. Dies könnte beispielsweise für
Arbeitsmigranten aus Russland, Tunesien, der Ukraine, Ägypten und der
Türkei interessant sein, sagte SVR-Mitglied Daniel Thym.

Die Vorgabe, dass eine Ausbildung im Ausland der deutschen Ausbildung
im Prinzip gleichwertig sein soll, wollen die Experten jedoch nicht
kategorisch abschaffen. Angesichts von Fachkräfteengpässen in einigen
Branchen und Regionen sollte dieses Kriterium aber ihrer Ansicht nach
flexibler als bisher gestaltet werden. Zum Beispiel sollten
Pflegekräfte oder Klempner aus Nicht-EU-Staaten auch ohne eine
Ausbildung nach deutschen Standards kommen dürfen, etwa wenn sie
schon einen Vertrag und Deutschkenntnisse vorweisen können.

In den Herkunftsländern der potenziellen Arbeitsmigranten könnten
Ausbildungskooperationen geschlossen werden, um deutsche Standards
dort zu verankern. Auch könnten die Möglichkeiten für
Nicht-EU-Bürger, für eine nicht-akademische Ausbildung nach
Deutschland zu kommen, erweitert werden. Die Experten verweisen auf
einen Vorschlag des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, eine
eigene Förderstruktur für Jugendliche zu schaffen, die zu
Ausbildungszwecken einreisen. Um den Zugang zu erleichtern, sollte
zudem die sogenannte Vorrangprüfung ausgesetzt werden. Diese
Regelung, die aktuell auch für die betriebliche Ausbildung gilt,
sieht vor, dass der Arbeitgeber nachweisen muss, dass er die Stelle
nicht mit einem deutschen Lehrling oder einem EU-Bürger besetzen
konnte.

Trotz gleicher gesetzlicher Grundlagen kommt die Politik in den
Bundesländern zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. Etwa bei der
Anerkennung von Flüchtlingen aus einem bestimmten Herkunftsstaat in
verschiedenen Bundesländern. Ein weiteres Beispiel für große
Differenzen sehen die Sachverständigen in der
Einbürgerungspolitik. Obwohl das Staatsangehörigkeitsgesetz
bundesweit gilt, liegt die Einbürgerungsrate in Hamburg mehr als
doppelt so hoch wie in Bayern. Denn die Bundesländer interpretieren
Ermessensspielräume unterschiedlich und ergreifen jeweils eigene
Maßnahmen, um eine Einbürgerung entweder zu erschweren oder aber zu
erleichtern. Ermessensspielräume haben die Länder auch in der Frage,
ob sie bei der Berechnung der Mindestaufenthaltszeit von acht Jahren
für einwanderungswillige Ausländer auch Studienzeiten anrechnen. 

Von den Ausländern, die schon mindestens acht Jahre in Deutschland
lebten, haben sich im Jahr 2015 in Hamburg 3,5 Prozent einbürgern
lassen. In Bremen und Schleswig-Holstein waren es 3,0 Prozent. In
Bayern beantragten lediglich 1,6 Prozent die deutsche
Staatsbürgerschaft.  

Kritisch sehen die Sachverständigen die von Cottbus, Salzgitter und
einigen Städten zuletzt verhängten Zuzugssperren für anerkannte
Flüchtlinge. Diese sollten «wirklich nur als letztes Mittel»
angewandt werden, wenn es lokal an Unterbringungs- und
Integrationskapazitäten fehle, sagte SVR-Mitglied Petra Bendel.