Spahn verspricht Beitragsentlastung in Milliardenhöhe

Der erste große Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Spahn hat es in
sich: Die Beitragszahler sollen spürbar weniger zahlen müssen. Doch
bei den Krankenkassen herrscht Alarmstimmung.

Berlin (dpa) - Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die
Beitragszahler in der gesetzlichen Krankenversicherung per Gesetz in
Milliardenhöhe entlasten. Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, sollen
die bisher allein von den Kassenmitgliedern zu zahlenden
Zusatzbeiträge ab 1. Januar 2019 zu gleichen Teilen von Arbeitgebern
und Arbeitnehmern getragen werden. Dies soll die Kassenmitglieder und
Rentner um 6,9 Milliarden Euro entlasten. Zudem will Spahn
Krankenkassen mit hohen Finanzreserven zum Abbau dieses Geldpolsters
verpflichten. «Hier ist noch einmal ein weiteres Entlastungsvolumen
von etwa vier Milliarden Euro», sagte Spahn. Die AOK warnte vor einem
Eingriff in die Beitragsautonomie der Kassen. SPD-Gesundheitsexperte
Karl Lauterbach kündigte an, seine Partei werde Spahns Vorschlag in
dieser Form nicht mittragen.

Ein entsprechender Gesetzentwurf ging in die Abstimmung innerhalb der
Bundesregierung. Die Finanzreserven einer Kasse sollen das Volumen
einer Monatsausgabe künftig nicht mehr überschreiten dürfen. Was
darüber liegt, soll über einen Zeitraum von drei Jahren abgebaut
werden müssen. Kassen, die ihre Reserven selbst durch einen
kompletten Verzicht auf den Zusatzbeitrag nicht in dieser Zeit
ausreichend abschmelzen können, sollen dafür zwei Jahre mehr Zeit
bekommen. Danach sollen die Kassen den Rest an den Gesundheitsfonds
abführen müssen, der Geldsammel- und -verteilstelle der Kassen. Laut
Ministerium haben die Kassen mit Reserven über einer Monatsausgabe 35
Millionen Versicherte.

«Wir wollen, dass Krankenkassen Rücklagen haben für schlechtere
Zeiten, für Unwägbarkeiten», sagte Spahn. «Aber sie sollen nicht
übermäßig Geld horten, denn es ist das Geld der Beitragszahler.»

Nach Angaben aus Regierungskreisen müssten somit 68 der 112
Krankenkassen ihren Zusatzbeitrag senken. Laut einer Liste, die die
«Bild»-Zeitung am Dienstag unter Berufung auf ein Geheimpapier des
Gesundheitsministeriums veröffentlicht hatte, hat demnach die
Techniker Krankenkasse (TK) ein Senkungspotenzial von 123 Euro je
Versicherten und Jahr, bei der AOK Plus sind es 196 Euro, der
AOK Hessen 142 Euro, der AOK Bremen/Bremerhaven 225 Euro, der AOK
Sachsen-Anhalt sogar 742 Euro und bei der hkk 420 Euro.

Der Chef des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch, kritisierte: «Der
Plan, die Krankenkassen zur Senkung des Zusatzbeitrags zu zwingen
(...) ist ein gravierender Eingriff in die Beitragssatzautonomie der
Krankenkassen.» Hier schieße Spahn übers Ziel hinaus. Er treibe die
Kassen in eine kurzsichtige Fokussierung auf den Preis. «Dabei wissen
wir, dass unsere Versicherten kein Beitragssatz-Jojo wollen.»

Nach Ansicht der Ersatzkassen wie TK oder Barmer geht Spahns Plan an
den Ursachen der hohen Reserven bei einzelnen Kassen vorbei. Ein
Webfehler des Finanzausgleichs zwischen den Kassen führe dazu, dass
einzelne Kassen sehr hohe Rücklagen anhäufen könnten, sagte
Barmer-Chef Christoph Straub. Eine zeitnahe Reform dieses
Finanzausgleichs sei dringlich. Die Vorsitzende des
Ersatzkassenverbandes, Ulrike Elsner, forderte, vor Eingriffen in die
Beitragsgestaltung der Kassen müssten Kosten angekündigter Reformen
seriös abgeschätzt werden. Zeitgleich müsse es zudem zwingend eine
Reform des Kassen-Finanzausgleichs geben.

Die Entlastung durch die paritätische Finanzierung des Zusatzbeitrags
bezifferte Spahn auf 15 Euro für jemanden, der ein Einkommen von 3000
Euro brutto hat. «Das ist ein klares Signal der Entlastung.»

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Lauterbach sagte den
Zeitungen der Funke Mediengruppe, das Geld werde dringend für die
Finanzierung der Pflege gebraucht. «Wenn wir jetzt die Rücklagen der
Kassen abschmelzen, haben wir auf Dauer nicht genug Mittel, um gegen
den Pflegenotstand anzugehen.» Spahns Vorschlag werde dazu führen,
dass die Krankenkassenbeiträge schon in dieser Wahlperiode wieder
steigen müssten. «Wir werden ihn so nicht mittragen.»

Mit seinem Gesetz will Spahn auch Kleinselbstständigen helfen, die
unter für sie hohen Beiträgen leiden. Der Mindestbeitrag für
Selbstständige soll ab 1. Januar auf 171 Euro monatlich halbiert
werden. «600 000 kleine Selbstständige in Deutschland werden durch
eine Halbierung des Mindestbeitrags entlastet werden», sagte Spahn.

Spahn kündigte darüber hinaus ein Sofortprogramm Pflege und
Regelungen gegen lange Wartezeiten beim Arzt an, noch ohne Details zu
nennen.