Gericht sieht Verflechtung zwischen Grünenthal und Conterganstiftung Von Elke Silberer, dpa

Gab es wirklich enge Verbindungen zwischen dem Conterganhersteller
Grünenthal und der Conterganstiftung? Das Kölner Oberlandesgericht
hat daran keine Zweifel. Die Opfer haben Fragen.

Köln (dpa) - Für die Opfer ist es ein Skandal: Zwischen dem
Conterganhersteller Grünenthal und der Conterganstiftung gab es laut
einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln Verflechtungen. Der
Hersteller des Schlafmittels, durch das rund 5000 Kinder mit schweren
Missbildungen an Armen und Beinen auf die Welt kamen, habe Zugriff
auf die medizinischen Akten der Opfer gehabt, stellte das Gericht am
Donnerstag fest. Seit Jahren schwelt zwischen den Beteiligten ein
Streit in dieser Frage.

Der Contergangeschädigte Andreas Meyer, der wegen kurzer Arme und
Beine auf Rollstuhl und Hilfe angewiesen ist, hatte das immer wieder
gesagt - auch 2013 als Sachverständiger im Familienausschuss des
Bundestags.

Der damalige Stiftungsvorstand wehrte sich und schrieb daraufhin
einen Brief an alle Mitglieder des Ausschusses, Meyers Behauptungen
seien nicht wahr. Das Oberlandesgericht Köln entschied nun in dem
Zivilverfahren, dass Meyer die Wahrheit gesagt hat. Der frühere
Stiftungsvorstand darf das Gegenteil unter Androhung einer hohen
Geldbuße nicht mehr sagen.

Nach Entscheidung der Richter gab es die Verflechtungen zwischen
Unternehmen und der Stiftung, die Renten aus Steuermitteln an die
Opfer auszahlt. Der damalige Grünenthal-Anwalt sei von 1972 bis 2003
auch Leiter der medizinischen Kommission der Stiftung gewesen und
habe Zugriff auf die Akten gehabt. Ein Mitarbeiter von Grünenthal
habe ihm in seiner Stiftungsfunktion zugearbeitet.

Außerdem zahlte das Unternehmen der Stiftung laut Gericht eine
jährliche Pauschale für die Arbeit der medizinischen Kommission.
Diese Kommission spiele bei der Anerkennung als Conterganopfer eine
wichtige Rolle, sagte Meyer, der für die Opferverbände im
Stiftungsrat sitzt. Revision gegen die Entscheidung ist nicht
zugelassen.

Der beklagte frühere Stiftungsvorstand hatte argumentiert, es habe
umfassende Vorkehrungen gegeben, damit keine Informationen an
Grünenthal gelangten - trotz der Doppelrolle des Grünenthal-Anwalts
und der Zuarbeit des Grünenthal-Mitarbeiters. Außerdem seien die
Gutachter von der Conterganstiftung und nicht von Grünenthal bezahlt
worden.

Die Conterganstiftung zahlt von ihr anerkannten Conterganopfern
Renten aus Steuermitteln. Die Stiftung steht unter Rechtsaufsicht des
Bundesfamilienministeriums.

Andreas Meyer sieht nach dem Urteil nun die Politik in der Pflicht:
«Die Bundesregierung muss uns erklären, warum Grünenthal eine so
herausragende Rolle in der Stiftung spielte.» Mit dem
Conterganstiftungsgesetz 1972 hatten deutsche Opfer keine Möglichkeit
mehr, gegen Grünenthal zu klagen.

Viele Opfer sprechen noch heute von Entrechtung, deren Fortsetzung
sie im Zuschnitt der Stiftung sehen: Die Betroffenenvertreter seien
im Stiftungsrat in der Minderheit und könnten die Interessen der
Conterganopfer gegen die Mehrheit der Ministerialvertreter nicht
durchsetzen, kritisierte Meyer.

Nach den heute geltenden Richtlinien des Unternehmens wäre eine
solche Doppelrolle wie die des Grünenthal-Anwalts nicht mehr möglich,
teilte das Unternehmen am Donnerstag mit. «Aus diesem Bewusstsein
heraus» habe man 2014 alle Unterlagen, die sich durch die Arbeit des
Anwalts im Unternehmensarchiv befunden hätten, an die
Conterganstiftung übergeben.