Zuwanderung aus Osten boomt - Deutscher Arbeitsmarkt hat Sogwirkung Von Eva Krafczyk, dpa

Ob rumänischer Arzt, polnischer Klempner oder bulgarische
Krankenschwester - der Anteil von Migranten aus den östlichen
EU-Staaten ist im vergangenen Jahr überproportional gestiegen. Für
die Herkunftsländer kann das problematisch sein.

Frankfurt (dpa) - Das Bild von Zuwanderern aus Krisenstaaten mag seit
Beginn der großen Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 das Bild vieler
Deutscher geprägt haben. Doch Migration, das zeigen die am Donnerstag
vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen für das Jahr
2017, kommt ganz besonders stark aus den neuen EU-Staaten in Südost-
und Ostmitteleuropa. Ihr Anteil stieg im vergangenen Jahr um 12,5
Prozent.

Bei Migranten aus Polen und Rumänien gab es allein 2017 einen
rechnerischen Zuwachs um jeweils 85 000 Menschen, 45 000 Zuwanderer
kamen aus Bulgarien. Insgesamt stieg die Zahl der Menschen aus den
neuen EU-Ländern von 2007 bis Ende vergangenen Jahres von 919 000 auf
2,6 Millionen. Das ist ein Zuwachs um 185,7 Prozent. Insgesamt lebten
Ende 2017 in Deutschland 10,6 Millionen Menschen, die ausschließlich
einen ausländischen Pass hatten.

«Im Rahmen der Flüchtlingswelle ist Migration aus den östlichen
EU-Staaten ein wenig aus dem Fokus gerückt. Aber langfristig ist sie
sicher die bedeutendere und auch länger anhaltende», sagt Ulf
Brunnbauer vom Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in
Regensburg.

«Das sind ja keine Armutsflüchtlinge, sondern Menschen, die
Deutschland etwas anbieten, was auch nachgefragt wird auf dem
Arbeitsmarkt», betont Brunnbauer mit Blick auf die teils
hochemotionalen Diskussionen, die vor der ersten EU-Osterweiterung im
Jahr 2004 geführt wurden. Während Großbritannien, Irland und Schweden

ihren Arbeitsmarkt sofort für Menschen aus den neuen Ländern
öffneten, schufen Deutschland und Österreich mit Übergangsfristen die

höchsten Hürden.

«Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die Befürchtungen, die
man anfangs hatte, sozio-ökonomisch nicht wirklich plausibel waren»,
meint Brunnbauer. «Die britische Wirtschaft hat sehr stark profitiert
von osteuropäischen Einwanderern - und die deutsche und die
österreichische tun das heute auch.»

In der Tat: Auf vielen Baustellen ist Polnisch, Bulgarisch oder
Slowakisch zu hören. Pflegekräfte aus dem östlichen Europa werden
auch von Privatleuten in Deutschland gesucht, in Krankenhäusern und
Altenheimen würden mittlerweile ohne die Mitarbeiterinnen aus dem
Osten empfindliche Lücken klaffen.

Während im vergangenen Jahr 24,4 Prozent der
sozialversicherungspflichtig beschäftigten deutschen Frauen im
Gesundheits- und Sozialwesen arbeiteten, waren in diesem Bereich
zwölf Prozent der in Deutschland arbeitenden Frauen aus Bulgarien und
Rumänien tätig, sagt Carola Burkert vom Institut für Arbeitsmarkt-
und Berufsforschung (IAB) in Frankfurt. Bei den in Deutschland
sozialversicherungspflichtig arbeitenden Frauen aus den Staaten der
ersten Erweiterungsrunde in Ostmitteleuropa lag der Anteil bei 18,3
Prozent.

Im Gastgewerbe würde es ohne die Mitarbeiterinnen aus dem Osten
kritisch: hier arbeiteten laut IAB Mitte 2017 rund 17 Prozent der
Rumäninnen oder Bulgarinnen und 11,6 Prozent der Frauen aus den
übrigen ostmitteleuropäischen Staaten.

«Auffällig ist, dass die Frauen aus den neuen EU-Staaten häufig einer

höher qualifizierten Tätigkeit nachgehen als die männlichen Migranten

aus diesen Ländern», sagt Burkert. Es sei zu vermuten, dass Migranten
aus östlichen EU-Staaten häufiger unterhalb ihrer eigentlichen
Qualifikation beschäftigt seien und aufgrund von Sprachproblemen oder
fehlender Anerkennung ihrer Abschlüsse etwa als Lagerarbeiter oder im
Wachdienst arbeiten. «Die Lohnunterschiede im Vergleich zum Einkommen
im Herkunftsland sind so groß, dass für sie auch eine solche
Tätigkeit finanziell attraktiver ist.»

«Auch wenn die durchschnittliche Arbeitslosigkeit unter diesen
Zuwanderern etwas höher ist als unter der einheimischen Bevölkerung,
finden die meisten dieser Menschen eine Beschäftigung», sagt
Brunnbauer über die Zuwanderer aus dem Osten der EU und die
Sogwirkung des deutschen Arbeitsmarktes. «Gerade im Pflegebereich
gibt es eine starke Nachfrage - und das wird sicherlich auch noch
zunehmen.»

Problematisch könnte das allerdings etwa für das Gesundheitswesen in
den Herkunftsländern werden, das die Abwanderung qualifizierter
Fachkräfte schmerzhaft zu spüren bekommt. Dabei entstünden dann «ga
nz
interessante Migrationsketten», wenn etwa in Polen ukrainische
Krankenschwestern eingestellt werden: «Die Auswanderung aus dem einen
Land führt zu Auswanderung aus dem nächstgelegenen Nachbarland, wo
die Löhne noch geringer sind.»