Plastischer Chirurg lobt Film «Wunder» Von Andrea Barthélémy, dpa

Das Haus verlässt «Auggie» am liebsten mit einem Astronautenhelm.
Denn so verhindert er, dass er wegen seines ungewöhnlichen Aussehens
hemmungslos angestarrt wird. Aus dem Film «Wunder» können viele etwas

lernen, sagt ein Arzt.

Sacramento (dpa) - Auggie, der mit schweren Gesichtsfehlbildungen
geborene kleine Held des Films «Wunder», kann nach Auffassung eines
Chirurgen vielen Menschen die Augen öffnen - für den Blick aufs
Andersartige. «Auggie ist die Gesamtsumme der Gedanken, Gefühle und
Erfahrungen eines jeden Kindes, das als anders eingestuft wird»,
schreibt der Plastische- und Unfallchirurg Travis Tollefson
(University of California) im US-Journal «Jama». Der Arzt hat
zahlreiche Kinder wie Auggie operiert.

Die Hauptfigur im Film und dem gleichnamigen Kinderbuch-Bestseller
von R.J. Palacio hat eine seltene Erbkrankheit, das
Treacher-Collins-Syndrom, das schwerste Fehlbildungen an Kopf und
Hals mit sich bringen kann. Der blitzgescheite Auggie hat 27
Operationen hinter sich, als er als Fünftklässler erstmals eine
Schule besucht und prompt zur Zielscheibe von Hänseleien und
ungeniertem Gestarre wird. Als er endlich einen Freund findet, fragt
der ihn, ob er schonmal über eine Schönheitsoperation nachgedacht
habe. Auggie antwortet: «Hallo? Das IST nach der plastischen OP.»

Diese Szene treffe ziemlich den Punkt, sagt Tollefson. Denn bei den
Operationen für die betroffenen Kinder gehe es nicht darum, dass sie
danach perfekt oder auch nur unauffällig aussähen. Vielmehr darum,
dass sie überhaupt atmen, schlucken, essen, hören, blinzeln oder ihr
Gesicht bewegen könnten. Die Zahl von 27 größeren und kleineren
Operationen, um diese Funktionen zu ermöglichen, sei durchaus
realistisch, sagt der Arzt.

Im Film trägt der junge Schauspieler, Jacob Tremblay, eine
Gesichtsprothese und Make-Up. Das sehe zwar auf den ersten Blick
relativ echt aus, aber dem Gesicht fehle jegliche Beweglichkeit und
Ausdrucksfähigkeit, so Tollefson. «Es bleibt eine Maske.» Auf eine
Begegnung mit Treacher-Collins-Patienten im realen Leben bereite der
Film deshalb nicht wirklich vor.

Das Syndrom, mit dem etwa eines von 50 000 Lebendgeborenen auf die
Welt kommt, gehört zu den Seltenen Krankheiten. Es tritt in
unterschiedlich starken Ausprägungen an Gesicht, Kopf und Hals auf,
andere Körperteile sind davon nicht betroffen. Auch die Intelligenz
der Kinder ist in der Regel völlig normal.

«Als Gesichts- und Unfallchirurg habe ich mich durch Patientenbesuche
und Operationen Schritt für Schritt an Andersartigkeit gewöhnt, aber
'Wunder' hat mir klar gemacht, dass ich diese Erfahrung noch nicht
wirklich verinnerlicht hatte», räumt der Arzt ein. Die Geschichte
hätte ihm gezeigt, wie diese Kinder mit einer Welt ringen müssten,
die Probleme hat mit Andersartigkeit. Und welche Kunst es sei,
gleichzeitig reflektiert und empathisch zu bleiben gegenüber all
denen, von denen sie wegen ihres Äußeren beurteilt werden.