Was Union und SPD vorhaben - und wer sich wo mehr durchgesetzt hat

Bei der SPD geht es am Sonntag um die grundsätzliche Abwägung von
Notwendigkeit und Risiken einer neuen GroKo - aber auch um die
konkreten Inhalte. Könnten die Sozialdemokraten in einer weiteren
Merkel-Regierung aus ihrer Sicht genug durchsetzen?

Berlin (dpa) - Steckt im Sondierungsergebnis von Union und SPD
genug «Neuanfang» für die Sozialdemokraten? Waren die SPD-Verhandle
r
unter Parteichef Martin Schulz der Union bei den Sondierungen
ausreichend gewachsen? Ein Überblick vor dem entscheidenden
SPD-Parteitag am Sonntag:

STEUERN: Die im SPD-Wahlprogramm versprochene Anhebung
des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent war mit der Union in den
Sondierungen nicht anzupeilen, auch keine Reichensteuer. Dass der
Solidaritätszuschlag abgebaut werden soll, sehen CDU, CSU und SPD als
Erfolg. Das Festhalten an einem ausgeglichenen Haushalt ohne neue
Schulden schreiben sich CDU und CSU zugute. Die SPD reklamiert unter
anderem das Ziel für sich, den Kampf gegen Steueroasen zu verstärken.
Fazit: Plus für die Union.

INVESTITIONEN: Den Plan für 1,5 Millionen neue Wohnungen (zwei
Milliarden für den sozialen Wohnungsbau), das geplante Programm für
Ganztagsschulen (zwei Milliarden), Reform des Bafög (eine Milliarde),
Kita-Förderung (3,5 Milliarden) und weitere Punkte verbuchen vor
allem die Sozialdemokraten als Erfolg. Staatliche Investitionen
sollen gefühlten und realen Ungerechtigkeiten entgegenwirken. Fazit:
Eher ein Punkt für die SPD.

GESUNDHEIT: Die Verschmelzung von gesetzlicher und privater
Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung scheiterte schon in
den Sondierungen am Widerstand von CDU/CSU. Das damit verbundene Ziel
lautete: Ende der «Zwei-Klassen-Medizin». Allerdings soll die
Rückkehr zur Parität kommen - zur gleichen Finanzierung der Beiträge

durch Arbeitgeber und -nehmer. Fazit: Gemessen an den
großen SPD-Ankündigungen eher ein Kompromiss zugunsten der Union.
Allerdings ist die Parität ein großer, seit Jahren erfolglos
geforderter Schritt - wertet man die SPD-Forderung nach einer
Bürgerversicherung als Strategie, den zu erreichen, hätte sie gut
verhandelt.

RENTE: Stabiles Rentenniveau bis 2025, eine von der Union geforderte
Rentenkommission für die späteren Jahre, die Einführung der von der
damaligen Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) vorgeschlagenen
Solidar- oder Grundrente, eine abgespeckte Ausweitung der von der CSU
geforderten Mütterrente - alle können sich in den Plänen
wiederfinden. Fazit: Grundrente für langjährige Geringverdiener und
sicheres Rentenniveau waren Kernanliegen der SPD. Auch wenn die
Niveau-Absicherung nicht so langfristig angelegt ist, wie von der SPD
erhofft, trägt das Rentenkapitel ihre Handschrift.

ARBEIT: Das Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit soll kommen - das
war allerdings auch schon für die vergangene Wahlperiode verabredet
und scheiterte am Unionswiderstand. Ein sozialer, öffentlich
geförderter Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose soll kommen - das
wollte die SPD, aber auch die Union hatte Ähnliches im Programm.
Nicht durchgesetzt haben sich die Sozialdemokraten mit der Forderung
nach Abschaffung sachgrundloser Befristungen und gleicher Bezahlung
vom ersten Tag bei Leiharbeit. Fazit: Wichtige Anliegen der SPD sind
nicht in der Sondierungseinigung enthalten.

BILDUNG: Die SPD wollte das Verbot einer Einmischung des Bundes in
die Schulpolitik der Länder kippen. Der Bund sollte Schulen
systematisch mitfinanzieren dürfen. Übrig geblieben ist, dass der
Bund nicht nur finanzschwachen, sondern allen Gemeinden im Bereich
der kommunalen Bildungsinfrastruktur Finanzhilfen gewähren können
soll. Umfassend soll er sich an der Bildungsfinanzierung der Länder
beteiligen dürfen. Fazit: Ein Kompromiss zwischen Unions- und
SPD-Seite mit Pluspunkten für die Sozialdemokraten.

MIGRATION: Der Zuzug von Flüchtlingen soll die Zahl von 180 000 bis
220 000 pro Jahr nicht überschreiten, der Familiennachzug für
Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus auf 1000 Menschen pro
Monat begrenzt werden. Die CSU feiert dies als Erfolg - auch wenn
dies keine starre Obergrenze von 200 000 bedeutet, wie sie die Bayern
gerne gehabt hätten. Fazit: Hier konnten CDU und CSU Teile ihres
eigenen mühsam ausgehandelten Kompromisses einbringen.

EUROPA: Die SPD schreibt sich auf die Fahnen, dass Schluss sein soll
mit der Sparpolitik in Europa und deutliche soziale Akzente in der EU
gesetzt werden sollen. Seit Langem dringen die Sozialdemokraten auf
eine positive Antwort Deutschlands auf die Reformvorschläge des
französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu einer vertieften
Eurozone und EU. Nun soll die Eurozone in enger Partnerschaft mit
Frankreich gestärkt und reformiert werden. Fazit: Die SPD-Handschrift
ist deutlich zu erkennen; allerdings ist auch das Kanzleramt nicht
abgeneigt gewesen, positiv auf Macron zu reagieren.