Täter in Weiß: Wenn Mediziner Patienten missbrauchen Von Aleksandra Bakmaz, dpa

Ein Ayurveda-Heiler, ein Rettungsassistent und mehrere Chefärzte: In
den vergangenen Wochen standen immer wieder Mediziner vor Gericht,
weil sie sich an Patienten vergangenen hatten. Häufen sich die Fälle?

München (dpa) - Die Beziehung zwischen Patient und Arzt ist eine
besondere, ein Vertrauensverhältnis. Umso mehr erregen Fälle
Aufsehen, bei denen Mediziner dieses Vertrauen missbraucht haben.
Gerade in jüngerer Zeit gerieten einige davon in die Schlagzeilen.
Ein Arzt aus Bayern soll Rezepte gegen sexuelle Dienste ausgestellt
haben. Ein Ayurveda-Heiler bei München führte Patientinnen gegen
deren Willen bei Massagen Finger in die Vagina ein und bekam dafür
nun drei Jahre Haft. Ein Rettungsassistent aus der Region Nürnberg
gestand im vergangenen Oktober vor Gericht, dass er Frauen mit
Medikamenten willenlos gemacht und missbraucht habe.

Für bundesweites Aufsehen sorgte auch der Fall eines Bamberger
Chefarztes, der laut Urteil vom Oktober 2016 mehrere Frauen
missbraucht und teilweise auch vergewaltigt hatte. Später gab es
Vergewaltigungs-Vorwürfe gegen einen weiteren Bamberger Chefarzt.
Erst am Mittwoch verurteilte das Landgericht Ansbach einen Mediziner
aus Franken zu drei Jahren Haft, weil er drei psychisch labile
Patientinnen sexuell missbraucht hat. Er darf demnach fünf Jahre lang
keine Frauen mehr psychotherapeutisch behandeln.

Schaut man sich die Häufung an, drängt sich die Frage auf: Werden
Patienten häufiger zu Opfern? «Das ist nur ein momentaner Eindruck -
generell dürfte die Rate konstant sein», erklärt der Basler
Psychiater Werner Tschan, der sich seit Jahren mit dem Thema
beschäftigt und mehrere Bücher dazu geschrieben hat.

In der Fachwelt gehe man davon aus, dass vier bis fünf Prozent des
Personals im Gesundheitswesen entsprechende Neigungen haben. Die
Schätzung beziehe sich nicht nur auf Ärzte, sondern etwa auch auf
Pfleger und Krankenschwestern. «Wie viele es tatsächlich sind, kann
niemand wirklich sagen», so der 64-Jährige.

Auch die Zahl der Opfer könne nur geschätzt werden. Eine kanadische
Studie von 1999 gehe davon aus, dass ein Prozent der Bevölkerung
sexuelle Übergriffe im Rahmen von Behandlungen erlebt. Auch Männer
seien betroffen. Unangemessene Verhaltensweisen hätten etwa weitere
zwei Prozent erlebt.

In zahlreichen Foren berichten Frauen unter Pseudonymen von
Erlebnissen während ärztlicher Behandlungen, die sie stutzig gemacht
haben. Eine junge Frau schreibt etwa, dass sie bei einer
Nachsorgeuntersuchung nach ihrer Schwangerschaft vom Gynäkologen im
Krankenhaus gleichzeitig an der Brust und der Vagina abgetastet wurde
und sich dabei unwohl gefühlt habe. Sie fragt: «Ist das normal?» Die

Unsicherheit darüber, was Missbrauch und was eine leichte
Grenzverletzung ist, scheint groß zu sein.

«Alles, was in Richtung sexueller Handlungen im Rahmen von
Behandlungen geschieht, ist ein No-Go», erklärt Tschan. Dazu zählten

auch Dating-Versuche. Eine Untersuchung müsse immer nach den Regeln
der Kunst erfolgen. Sexueller Handlungen seien im Rahmen von
Behandlungen grundsätzlich verboten - auch wenn der Patient seine
Einwilligung dazu gibt, erklärt Tschan. Das werde in Deutschland ganz
klar von Paragraf 174c im Strafgesetzbuch geregelt. Demnach ist jeder
sexuelle Kontakt zwischen Patient und Mediziner im Rahmen einer
Behandlung strafbar.

Verstößt ein Mediziner dagegen, drohen ihm ein Strafverfahren wegen
sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses
und der Verlust der Zulassung. Beschwerden von Patienten nehmen in
der Regel die Landesärztekammern entgegen. Patienten können sich aber
auch gleich an die Polizei wenden und Anzeige erstatten. In Bayern
etwa kam es wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung des
Behandlungsverhältnisses laut Justizministerium 2016 zu fünf
Verurteilungen, die Rate ist seit Jahren konstant. Von diesem
Straftatbestand sind nicht nur Ärzte betroffen. Auch Heilpraktiker
oder Psychotherapeuten können deswegen belangt werden.

Bei Psychotherapeuten ziehe sich der Missbrauch oft über Jahre hin
und sei besonders gravierend, erklärt Barbara Lubisch, die
Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung: «Das
ist eigentlich genauso schwerwiegend einzustufen, wie der Missbrauch
durch einen Elternteil.» Die Patienten im Fall von Ansbach sind laut
deren Anwältin stark traumatisiert.

Oft kommt es aber gar nicht erst zu einer Anzeige, wie mehrere
Experten berichten. Der Grund: «Viele trauen sich nicht, etwas zu
sagen», so Tschan. Der Patient sei während der Behandlung in einem
Abhängigkeitsverhältnis. «Generell ist ja die Anzeigebereitschaft im

Bereich sexualisierter Gewalt sowieso sehr klein.»

Aus Sicht von Tschan wird es den Opfern auf der Suche nach Hilfe
unnötig schwer gemacht. «Die Ärzteschaft hat sich bisher nicht gerade

hervorgetan bei dieser Problematik.» Keine Berufsdisziplin rede gerne
über Fehlhandlungen in den eigenen Reihen.

In Hessen sieht das anders aus. Dort hat die Landesärztekammer vor
rund vier Jahren eine Ombudsstelle für Fälle von Missbrauch in
ärztlichen Behandlungen eingerichtet - ein bundesweites Unikum.
Betroffene Patienten können sich direkt an Ombudsmann Meinhard Korte
wenden, über ihre Erlebnisse sprechen und sich bezüglich weiterer
Schritte beraten lassen. Als Ombudsmann steht Korte auch zur
Vermittlung zur Verfügung, «wenn die Ratsuchenden das wünschen»,
erklärt der Hanauer Psychotherapeut und Allgemeinmediziner.

Er berät aber auch über die Möglichkeit einer offiziellen Beschwerde

bei der Landesärztekammer oder einer Anzeige - auch das entscheidet
der Ratsuchende. Bis zu 100 Anfragen bearbeitet der Mediziner im Jahr
- «in der Regel haben 50 davon etwas mit Missbrauch zu tun», sagt
Korte. Doch die wenigsten seien strafrechtlich relevant. «Die
Dunkelziffer ist sicher höher, weil auch die Schwelle, einen Vorfall
zu melden, hoch ist», erklärt Korte. Das Wichtigste für die Patienten

sei meist die Erfahrung, dass ihnen zugehört wird und sie mit ihrem
Anliegen ernst genommen werden.