«Unterversorgte Gemeinden»? - Für Rettungsdienste zählt jede Minute

Innerhalb von 15 Minuten sollen Rettungsdienste in Baden-Württemberg
am Ort sein. Nicht immer schaffen Ärzte das. Gründe dafür sind unter

anderem Personalmangel - und auch ein massiver Anstieg von Einsätzen.

Stuttgart (dpa/lsw) - Bei medizinischen Notfällen sind in
Baden-Württemberg nach Untersuchungen des Südwestrundfunks (SWR)
viele Gemeinden unterversorgt. Es dauere aufgrund weiter Wege zu
lange, bis ein Rettungswagen diese Orte erreiche. Ist das Problem
bekannt und kann es gelöst werden? Dazu einige Fragen und Antworten.

Sind tatsächlich Hunderte Gemeinden unterversorgt - unter anderem
durch eine angeblich falsche Infrastruktur des Rettungsdienstes?

«Ja», sagt Eduard Kehrberger von der Arbeitsgemeinschaft
Südwestdeutscher Notärzte. Vorgaben hinsichtlich der Hilfsfrist
würden in Baden-Württemberg seit vielen Jahren nicht erreicht.
«Hierfür sind vor allem infrastrukturelle Defizite verantwortlich -
zum Beispiel die ungünstige Lage von Rettungswachen und zu wenig
Fahrzeuge.» Nach Einschätzung von Sabine Zeller von der
Johanniter-Unfall-Hilfe wird der Rettungsdienst immer mehr zum
Auffangbecken der Probleme anderer Teilnehmer im Gesundheitswesen:
«Der Rettungsdienst wird oft als Ersatz für den Hausarzt bei nicht
lebensbedrohlichen Erkrankungen oder Verletzungen gerufen.»

Nicht immer schaffen Rettungsdienste oder Notärzte die von der
Politik gewünschten Fristen. Was sind die Gründe dafür?

«Hauptgrund ist die kontinuierliche Zunahme - die Zahl der Einsätze
von Rettungswagen stieg allein in den vergangenen drei Jahren um 24
Prozent», sagt Udo Bangerter vom Deutschen Roten Kreuz. Zwar würden
zusätzliche Fahrzeuge und mehr Personal beschlossen. «Doch reicht
diese Kapazität kaum aus. Hinzu kommt, dass die Wege zu den
Krankenhäusern immer weiter werden.» Sabine Zeller zufolge hängt das

Erfüllen der Frist von regionalen Gegebenheiten ab. Für die Qualität

des Rettungsdienstes sei aber ebenso relevant, wann der Patient eine
geeignete Klinik erreicht. «Hier sind 60 Minuten die Vorgabe - wir
erreichen das Krankenhaus im Durchschnitt in rund 45 Minuten.»

Oft ist von einer angespannten Lage bei Fachpersonal zu hören. Wie
lässt sich diese Situation verbessern?

«Wenn ich einmal verunglücken sollte, dann hoffentlich in
Baden-Württemberg», sagt Staatssekretär Martin Jäger. «Die Mensch
en
können sich auf einen hochqualifizierten und professionellen
Rettungsdienst verlassen.» Kehrberger von der Arbeitsgemeinschaft
Südwestdeutscher Notärzte betont, der Rettungsdienst sei körperlich
wie mental anstrengend und verantwortungsvoll. Die Rahmenbedingungen
seien dagegen oft unattraktiv - «angefangen von mangelnden
Berufsperspektiven bis zu einer erschreckend schlechten Bezahlung».

Oft klingt es so, als sei die Selbstverwaltung des Rettungsdienstes
Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Täuscht der Eindruck?

Das Gegenteil sei der Fall, sagt Bangerter vom Roten Kreuz. «Die
Selbstverwaltung hat gerade in den vergangenen Jahren bewiesen, dass
sie handlungsfähig ist.» Als Beispiel nennt er eine Alarmierung, mit
der ein Fahrzeug schnell zum Einsatzort geleitet werden kann. Auch
Zeller von der Johanniter-Unfall-Hilfe meint: «In den vergangenen 40
Jahren war die rettungsdienstliche Entwicklung in Baden-Württemberg
beispiellos erfolgreich.» Kehrberger sieht das anders. «Das System
der Selbstverwaltung hat es über weit mehr als zehn Jahre nicht
geschafft, die Vorgaben des Rettungsdienstgesetzes auch nur
einigermaßen umzusetzen und ist wohl als gescheitert zu betrachten.»

Die Diskussion dreht sich oft um Fristen, ist das der einzige Aspekt?

«Es geht letztlich um Menschenleben und Patientenschicksale. Der
vielzitierte Begriff der Wirtschaftlichkeit im Rettungsdienst ist ein
Unwort», sagt Bangerter vom Roten Kreuz. Sicherheit für die Bürger
könne nicht primär unter finanziellen Aspekten betrachtet werden.
«Unser Rettungswesen ist sehr leistungsfähig: Das beginnt beim
Eingang des Notrufs und endet mit dem Transport in das richtige
Krankenhaus», betont Staatssekretär Jäger. Baden-Württemberg brauch
e
keinen Vergleich mit einem anderen Bundesland zu scheuen. «Das
Rettungswesen zählt zu den besten in Deutschland.»