GroKo-Gegner starten mit Überraschungssieg in Entscheidungswoche Von Michael Fischer und Simon Ribnitzky, dpa

Der Jubel von SPD-Chef Schulz über die geglückte GroKo-Sondierung ist
schnell verhallt. Die Gegner eines Bündnisses mit der Union tragen
einen ersten Sieg davon. Und die Forderung nach Nachbesserungen am
Kompromisspapier erschwert die Lage.

Wernigerode/Berlin (dpa) - Das Ergebnis ist so knapp, dass die
Zählkommission des SPD-Landesparteitags in Sachsen-Anhalt ziemlich
ins Schleudern gerät. Drei Mal muss sie nachzählen, erst dann steht
fest: 52 Delegierte sind gegen eine große Koalition mit der Union, 51
dafür.

Was am späten Samstagnachmittag in dem kleinen Harz-Städtchen
Wernigerode passiert ist der Auftakt zu einer ganz entscheidenden
Woche im Drama um die Bildung einer neuen Bundesregierung. Bis zum
nächsten Sonntag haben die Sozialdemokraten Zeit, über das von der
Parteispitze ausgehandelte Sondierungspapier zu streiten. Dann
entscheiden auf einem Bundesparteitag in Bonn 600 Delegierte über die
Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU. Diese
Abstimmung gilt als höchste Hürde vor einer großen Koalition.

Aus Sachsen-Anhalt werden nur sieben Delegierte dabei sein. Es ist
einer der unbedeutendsten SPD-Landesverbände - Mitgliederzahl und
politische Relevanz sind marginal. Bei der letzten Landtagswahl 2016
wurde die SPD viertstärkste Partei mit einem Minusrekord von 10,6
Prozent der Stimmen. Eine große Koalition ist in Sachsen-Anhalt wegen
der Stärke der AfD und der Linken gar nicht mehr möglich.

Trotzdem ist das Votum von Wernigerode ein Zeichen, wie gespalten die
Partei in der Frage der Regierungsbeteiligung ist. Als das Ergebnis
der Abstimmung bekanntgegeben wird, sind die beiden Protagonisten des
Landesparteitags gar nicht mehr da. Vizekanzler und Außenminister
Sigmar Gabriel hatte für das Ja-Lager das «sehr gute Ergebnis» der
Sondierungen vertreten. Juso-Chef Kevin Kühnert stellte ihm die aus
seiner Sicht zahlreichen Leerstellen gegenüber.

Auf den ersten Blick ist es ein ungleicher Wettbewerb. Dem Lager der
Ja-Sager gehört die komplette Parteiprominenz an. Alle Mitglieder des
Bundeskabinetts und Ministerpräsidenten setzen sich inzwischen für
die GroKo ein. Selbst die zunächst skeptischen Regierungschefinnen
Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) und Manuela Schwesig
(Mecklenburg-Vorpommern) sind nach dem Kompromiss vom Freitag dabei.
Im Parteivorstand fiel das Votum mit 34 zu 6 für die große Koalition
überraschend klar aus. Die Gegner hatten auf 10 Gegenstimmen gehofft.

Nicht erst seit Wernigerode ist klar, dass es an der Basis ganz
anders aussieht. Das weiß auch Parteichef Martin Schulz. Er meldete
sich am Wochenende nur mit einem Interview in der «Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung» zu Wort. Am Montag beginnt sein
Werbefeldzug bei den Delegierten. Dabei geht es in allererster Linie
um die 144 Genossen aus seinem eigenen Landesverband
Nordrhein-Westfalen, mit denen er am Montag und Dienstag in Dortmund
und Düsseldorf spricht - unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Landeschef Michael Groschek, einst selbst GroKo-Kritiker, machte
schon am Samstag einen ersten Stimmungstest bei einem Treffen des
Landesvorstands mit den Unterbezirkschefs. «Das war eine sehr, sehr
lebendige Diskussion», beschrieb er anschließend den Sitzungsverlauf.
Doch auch Juso-Chef Kühnert geht auf Deutschlandtour, um als
Speerspitze des Nein-Lagers die Gegner zu mobilisieren.

Begleitet werden die Kampagnen von einer Diskussion um
Nachbesserungen am Sondierungsergebnis in den möglichen
Koalitionsverhandlungen. Daran beteiligen sich auch diejenigen, die
das Sondierungspapier mit ausgehandelt haben, wie die
stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Dreyer und Ralf Stegner. Oder auch
diejenigen, die das Verhandlungsergebnis mit der Union in
Parteipräsidium und -vorstand gestützt haben, wie Berlins Regierender
Bürgermeister Michael Müller.

Viele Genossen nervt vor allem, dass man in der Gesundheitspolitik
nur einen Teilerfolg erzielt hat. Statt einer Verschmelzung der
privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen zu einer
Bürgerversicherung ist bisher nur die Rückkehr zur gleichteiligen
Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer herausgesprungen.
Aber auch die Bereiche Flüchtlinge, Wohnen und Arbeitsmarkt werden
als Felder genannt, auf denen noch mehr zu holen sei.

Diese Diskussion macht die Lage nicht einfacher. Denn abgestimmt wird
am Sonntag auf Grundlage des Sondierungsergebnisses. Dass in
Koalitionsverhandlungen deutlich mehr herausspringt, werden Schulz
und Konsorten nicht garantieren können.

Vizekanzler Gabriel meint deswegen auch, man hätte eigentlich ganz
auf das Parteitagsvotum verzichten sollen. So ein Vorgehen hat es
bisher auch noch nicht gegeben. Für Gabriel ist es ein
Misstrauensbeweis gegenüber den 450 000 Mitgliedern der SPD. Denn die
sollen ganz am Ende, wenn der Koalitionsvertrag steht, das letzte
Wort haben. Stimmt der Parteitag gegen die Koalition, kommen die
Mitglieder gar nicht mehr zu Wort.

Gabriel ist sich sicher, dass die Mitglieder anders als die eher
strategisch denkenden Funktionäre darauf achten, was inhaltlich auf
der Haben-Seite steht. Auch deswegen sagt er: «Entweder wir sind für
Basisdemokratie, dann müssen es die Mitglieder entscheiden, oder wir
sind dagegen. Ich habe keine Angst vor den Mitgliedern.»