Erster Sieg für GroKo-Gegner - Gabriel kritisiert Verfahren

Die SPD-Führung wirbt nach den Sondierungen mit der Union für eine
neue große Koalition. Doch die SPD ist gespalten. Das verdeutlicht
ein erster Stimmungstest in Sachsen-Anhalt.

Berlin/Wernigerode (dpa) - Bei der ersten Abstimmung an der SPD-Basis
über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union haben die
Gegner gesiegt. Mit einer Stimme Mehrheit stimmten die Delegierten
eines Landesparteitags in Sachsen-Anhalt am Samstag für einen Antrag
der Jusos. «Die SPD Sachsen-Anhalt spricht sich, insbesondere unter
Berücksichtigung der ersten Ergebnisse der Sondierungen mit CDU und
CSU, gegen eine erneute große Koalition aus», heißt es in dem in
Wernigerode beschlossenen Papier. Zur Begründung wird angeführt, dass
verlässliches Regieren mit der Union aktuell nicht möglich sei.

Die SPD lässt am 21. Januar erstmals nach Sondierungsgesprächen einen
Bundesparteitag über die Aufnahme förmlicher Koalitionsverhandlungen
entscheiden. Sachsen-Anhalt schickt 7 der 600 Delegierten. Sie müssen
sich an das Votum des Parteitags nicht zwingend halten. Falls der
Parteitag mit Ja den Weg für Verhandlungen frei macht, stimmen am
Ende die Mitglieder in ihrer Gesamtheit über den dann auszuhandelnden
Koalitionsvertrag ab.

Umso eindringlicher wirbt die SPD-Führung um Zustimmung der Basis auf
dem Parteitag in einer Woche. Auch die Vize-Vorsitzenden Malu Dreyer
und Manuela Schwesig - beide lange skeptisch über ein solches Bündnis
- setzen sich nach der Einigung in den Sondierungen mit CDU und CSU
dafür ein. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Dreyer sagte

der Deutschen Presse-Agentur, manchmal könnten auch
«Zweckgemeinschaften ganz gute Arbeit leisten». Ihre Amtskollegin aus
Mecklenburg-Vorpommern, Schwesig, sagte im NDR, die Bürger
erwarteten, dass endlich eine Regierung zustande komme.

Vor der Entscheidung der Delegierten in Sachsen-Anhalt hatte
Außenminister Sigmar Gabriel bei ihnen für eine Neuauflage von
Schwarz-Rot getrommelt. Gleichzeitig kritisierte er das
Entscheidungsverfahren der SPD mit einem zwischengeschalteten
Parteitag. Die Entscheidung müsse den SPD-Mitgliedern überlassen
bleiben, sagte der frühere Parteichef. Das Verfahren sei nicht nur
ein Misstrauensbeweis gegenüber dem Parteivorstand. «Das ist auch ein
Misstrauen gegenüber der eigenen Basis», sagte Gabriel. «Wenn wir die

Basis immer hochhalten, dann muss ich sie auch entscheiden lassen.»

Der nordrhein-westfälische SPD-Landeschef Michael Groschek wies
Gabriels Kritik zurück. «Das war ein Bundesparteitagsbeschluss»,
sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Für Nordrhein-Westfalen gilt
das Prinzip: Basis statt basta.» Groscheks Landesverband - der größte

der SPD - hatte das Parteitagsvotum initiiert.

Das Sondierungspapier bezeichnete Gabriel als ein «sehr gutes
Ergebnis». Er betonte aber auch, dass in Koalitionsverhandlungen noch
mehr herausgeholt werden müsse. Eine Menge Dinge in dem
Sondierungspapier seien klug, es fehlten aber auch Dinge. So begrüßte
Gabriel zwar die Rückkehr zur gleichteiligen Finanzierung der
Krankenversicherung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Er vermisse
aber die Stärkung der Rechte gesetzlich Versicherter. Gabriel zeigte
sich optimistisch, dass der Bundesparteitag in einer Woche für
Koalitionsverhandlungen stimmt. «Da habe ich jetzt keinen Zweifel.»

Juso-Bundeschef Kevin Kühnert - ein entschiedener Gegner einer großen
Koalition - forderte, die Partei müsse ehrlich bewerten, was in den
Sondierungen erreicht worden sei und was nicht. Bei der Entscheidung
müsse man auch die Erfahrungen der bisherigen Zusammenarbeit mit der
Union berücksichtigen, sagte er in Wernigerode. Kühnert nannte das
Rückkehrrecht aus Teilzeit in Vollzeit, das bereits im letzten
Koalitionsvertrag stand, aber nicht umgesetzt wurde. «Das sind keine
Verhandlungserfolge, sondern Altschulden der Union gegenüber der
SPD.»

Die Hessen-SPD sieht noch erheblichen Nachbesserungsbedarf an der
Sondierungsvereinbarung. Der Landesparteirat beauftragte am Samstag,
den Landesvorstand bis Mitte kommender Woche darzustellen, in welchen
Fragen nachgearbeitet werden soll.

Die Bevölkerung ist einer Umfrage zufolge skeptisch, dass es SPD-Chef
Martin Schulz gelingt, die Parteibasis zu überzeugen. 45 Prozent der
Befragten tippten in einer Erhebung des Instituts Civey für die
Funke-Mediengruppe auf «nein» oder «eher nein». Rund 38 Prozent
äußerten sich gegenteilig.

Anders als lange von der SPD gefordert soll es in einer neuen
Koalition keine Steuererhöhungen geben, aber eine Entlastung kleiner
und mittlerer Einkommen. Die geplante Rückkehr zu von Arbeitgebern
und Arbeitnehmern gleichermaßen geteilten Krankenkassenbeiträgen, ein
höheres Kindergeld und eine Grundrente für langjährige
Geringverdiener sollen Verbesserungen für Millionen Bürger bringen.
Auch geplante Milliardenausgaben für Kitas, Schulen, den Wohnungsbau
und Kommunen verbuchten SPD-Vertreter als Erfolge.

Aus Sicht der Wirtschaft gefährdet das Sondierungsergebnis die
Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Wichtige Wettbewerber wie
die USA, China, Großbritannien und Frankreich senkten die
Firmensteuern, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und
Handelskammertags, Eric Schweitzer, der «Rheinischen Post». «Da
reicht es nicht aus, wenn deutschen Unternehmen keine Erhöhungen
drohen - zumal die Wirtschaft an anderer Stelle zusätzlich mit
Lohnzusatzkosten, Bürokratie und Regulierung belastet werden soll.»