Maries schwerer Weg ins Leben Von Claudia Bonati, dpa

Bei ihrer Geburt wog Marie nur 830 Gramm. Sie musste lange vor dem
ausgerechneten Termin per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden.
Fast zwei Monate dauerte es, bis die Kleine nach Hause konnte.

Hamm (dpa/lnw) - Sie ist gefasst, lacht und wirkt aufgeräumt. Das
Schlimmste liegt hinter Janine Schöneis und vor allem hinter
Töchterchen Marie. Nach der Geburt dauerte es fast acht Wochen, bis
die Mutter ihr Baby mit nach Hause nehmen konnte.

Die 37-Jährige hat bereits einen dreijährigen Sohn, freut sich auf
die Geburt des zweiten Kindes. Bei einer Routineuntersuchung wird in
der 28. Schwangerschaftswoche aber überraschend festgestellt, dass
das Kind in Janine Schöneis' Bauch nicht mehr gewachsen ist.

Die niedergelassene Ärztin überweist die Schwangere umgehend an
Spezialisten. «Es hieß, ich sollte nicht mal eine Tasche packen,
sondern sofort in das Evangelische Krankenhaus Hamm fahren», erinnert
sich die junge Mutter an den ersten Schock. Bettruhe und Wehenhemmer
werden verordnet, aber wenige Tage später muss Marie mit einem
Notkaiserschnitt auf die Welt geholt werden. Nur 830 Gramm wiegt das
Frühchen. 

«Man gewöhnt sich an alles», fasst Maries Mutter die ersten Wochen
nach der Geburt zusammen. Es wird zum Alltag jeden Morgen in der
Klinik anzurufen und nach Marie zu fragen, dann vom Sauerland in das
eine Stunde entfernte Krankenhaus zu fahren und dort bei der Tochter
zu sein. Marie entwickelt sich gut. Sie wiegt nach vier Wochen schon
mehr als 1200 Gramm. «Sie ist sofort ruhiger, wenn ich da bin.
Schläft ganz entspannt ein«, erzählt Janine Schöneis. Sie versorgt

die Kleine so gut es geht selbst. Dazu gehört das Wickeln, das Messen
der Temperatur sowie die Nahrungsaufnahme. 

Wenn Burkhard Lawrenz, Sprecher vom Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzte (BVKJ), sich zurück erinnert, ist zu merken, wie sehr
sich die Neonatologie, die Versorgung der Frühgeborenen, verändert
hat. «Als ich vor über 30 Jahren anfing, war es so, dass Kinder mit
einem Gewicht unter 1000 Gramm gestorben sind und mit einem Gewicht
von 1000 bis 1500 Gramm als problematisch galten.»

Diese Grenzen hätten sich kontinuierlich verschoben. Ab einem Gewicht
von 750 Gramm gelte die Situation der Kinder zwar als schwierig, aber
vom Sterben werde kaum noch gesprochen. Für Eltern sei die Situation
im Krankenhaus aber immer ein Schock. Gerade das Bild eines «von
allen Seiten geschlauchten Kindes» setze den Eltern zu. 

«Es geht immer um das Leben des eigenen Kindes», verdeutlicht
Sozialarbeiterin Silvia Wilde vom EVK Hamm. Die Eltern der Frühchen
würden sich fragen, ob ihr Kind leben werde und wenn ja, wie. «Die
meisten Frühgeborenen sind in den ersten Jahren kleiner, schwächer,
schmächtiger als Gleichaltrige.» Viele holten die Defizite allerdings
im Grundschulalter auf. 

Janine Schöneis hat in den ersten Wochen nur einen Wunsch
gehabt: Weihnachten mit Marie zu Hause feiern. «Sie macht tolle
Fortschritte», freut sich die Mutter. Jedes Kabel, das entfernt
werden könne, werde gefeiert. Ihr Vorsatz: «Wenn wir zu Hause sind,
gehe ich eine Woche nicht vor die Tür.» So gut sie sich in der Klinik
in Hamm auch aufgehoben fühle, es seien halt nicht die eigenen vier
Wände. «Irgendwas piepst immer.»

Und Marie hat es wirklich geschafft. Kurz vor Weihnachten haben die
Ärzte sie mit 2245 Gramm entlassen. Um nach Hause zu dürfen, musste
Marie ohne Wärmebett alleine ihre Temperatur halten und gleichzeitig
atmen und trinken können.

Das schwierigste sei das Nachhausekommen nach der Geburt ohne Kind
gewesen, erinnert sich Janine Schöneis zurück. «Man denkt immer an

sein Kind. Auch wenn man zur Ablenkung etwas anderes macht. Die
Gedanken sind immer bei Marie.»