Tag der Entscheidung: Sondierern stehen «dicke Brocken» bevor

Zum Ende der Sondierungen geht es um die «Herzensanliegen» der
Parteien. Die Verhandlungen dürften noch einmal schwierig werden -
und sich bis in die Nacht ziehen.

Berlin (dpa) - CDU, CSU und SPD wollen an diesem Donnerstag ihre
Sondierungen über eine Fortsetzung der großen Koalition abschließen.

Die größten Knackpunkte dürften bis spät in die Nacht verhandelt
werden. Bis zuletzt waren beispielsweise zentrale Steuer- und
Finanzfragen sowie wesentliche Entscheidungen in den Bereichen
Migration, Arbeitsmarkt, Gesundheit, Pflege, Renten und Europa offen.
Vertreter der Parteien waren am Sonntag erstmals zusammengekommen. Am
Freitag soll ein Ergebnis auf dem Tisch liegen.

Man werde bei den abschließenden Beratungen noch «manche dicke
Brocken» aus dem Weg räumen müssen, sagte der Parlamentarische
Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), am
Mittwochabend. Es gehe jetzt um Herzensanliegen der Parteien. Er sei
aber optimistisch, dass die Sondierer zu Lösungen kommen könnten.

Auch SPD-Chef Martin Schulz gab sich zuversichtlich. Auf die Frage,
mit welchem Gefühl er in die für Donnerstag geplanten Beratungen
gehe, sagte er am Abend: «Optimistisch».

Unter anderem beim Unkrautgift Glyphosat, das für massiven Ärger in
der bisherigen großen Koalition gesorgt hatte, haben Union und
SPD bereits eine gemeinsame Position gefunden. Einig sind sich die
Sondierer auch darin, Diesel-Fahrverbote vermeiden und generell
Luftverschmutzung durch Autoabgase senken zu wollen.

Die Verhandlungen am Donnerstag dürften sich zwischen erneuten
Sitzungen von zentralen Arbeitsgruppen, Sechser-Runden der Partei-
und Fraktionschefs, getrennten Beratungen der einzelnen Seiten und
der großen Gruppe der Unterhändler bewegen. Am Ende wollen die
Unterhändler um die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel,
SPD-Chef Martin Schulz und den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer ihren
Gremien ein Ergebnispapier vorlegen.

Entscheidend wird sein, ob die Sozialdemokraten etwa bei den aus
ihrer Sicht zentralen Gerechtigkeitsthemen ausreichende
Verhandlungserfolge erzielen. Die SPD-Spitze braucht für den Eintritt
in offizielle Koalitionsverhandlungen die Zustimmung eines
Parteitags, der am 21. Januar in Bonn stattfinden soll und als große
Hürde gilt.

Zwar wurde in Verhandlungskreisen nicht ganz ausgeschlossen, dass die
Beratungszeit doch noch über den Freitag hinaus verlängert werden
könnte. Angesichts des selbstgesteckten Ziels eines Abschlusses am
Donnerstag wollen die Unterhändler dies aber unbedingt vermeiden,
weil man sonst in der Öffentlichkeit blamiert erscheine.

Die Krankenkassen riefen Union und SPD auf, ein Gesamtkonzept gegen
die enormen Pflegelücken in Deutschlands Krankenhäusern zu
entwickeln. Die Kassen warnten zugleich davor, dass eine neue große
Koalition «immer mehr Geld mit der Gießkanne an alle Krankenhäuser»

ausschütten könne, wie der Vize-Chef des Spitzenverbands der
gesetzlichen Krankenversicherungen, Johann-Magnus von Stackelberg,
der Deutschen Presse-Agentur sagte.

Der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, sprach
sich für Steuerentlastungen aus. Von 2016 bis 2021 würden die
Steuereinnahmen um rund 140 Milliarden Euro ansteigen, sagte er der
«Passauer Neuen Presse» (Donnerstag). «Da muss ein Drittel für
Schuldentilgung, ein Drittel für dringende Investitionen in die
Infrastruktur und Sicherheit sowie ein Drittel für Steuersenkungen
und den Abbau des Soli 28 Jahre nach der deutschen Einheit eingesetzt
werden.»

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) warnte die Sondierer
vor einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes. «Wer die Steuerschraube
anzieht, setzt Arbeitsplätze gerade in mittelständischen Betrieben
aufs Spiel und handelt damit gegen alle wirtschaftliche Vernunft»,
sagte ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke der «Neuen Osnabrücker
Zeitung» (Donnerstag). Es sei «ein Unding», in Zeiten voller
öffentlicher Kassen und jährlich steigender Einnahmen bei der
Einkommensteuer an höhere Sätze zu denken. Ähnlich äußerte sich d
er
Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo
Kramer, in der «Rheinischen Post» (Donnerstag).

Auch die CSU lehnt die Forderung der SPD nach einer schrittweisen
Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent ab. Die
Erhöhung solle nach SPD-Vorstellung als Ausgleich für Pläne dienen,
den Spitzensteuersatz erst bei etwas höheren Einkommen greifen zu
lassen. Demnach soll er künftig nicht mehr schon bei knapp 55 000
Euro fällig werden, sondern erst ab 60 000 Euro Jahreseinkommen.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Digitalverband Bitkom
forderten derweil die Schaffung eines bundesweiten Kompetenzzentrums
für die Digitalisierung der Kommunen. «Die Digitalisierung wird zu
einem entscheidenden Standortfaktor für die Wirtschaft und die
Menschen vor Ort. Dafür brauchen die Kommunen Geld, Know-how und eine
enge Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Verwaltung», sagte
Städtebund-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der «Passauer Neuen

Presse» (Donnerstag). «Wir müssen einheitliche Standards schaffen,
ein bundesweites Kompetenzzentrum einrichten, das Kommunen in
Digitalisierungsfragen berät, und eine Förderung von mindestens 500
Millionen Euro zusätzlich pro Jahr durch den Bund ermöglichen.»