Frust im deutschen Sport - Athletensprecher Hartung erwägt Rücktritt Von Andreas Schirmer und Christian Hollmann, dpa

Der DOSB-Athletensprecher Max Hartung ist frustriert und sagt es
laut: Die Sportlerförderung ist zu gering, bei der Reform des
Leistungssports stehen die Asse zu sehr im Abseits. Und das
IOC-Urteil zu Russland sei enttäuschend.

Berlin (dpa) - Im deutschen Sport kommt immer mehr Unruhe auf. Einen
Monat vor den Olympischen Winterspielen hat DOSB-Athletensprecher Max
Hartung zum Rundumschlag gegen Politik und Sportverbände ausgeholt.
Der Säbelfechter fordert eine massive Veränderung der zu geringen
Athletenförderung, klagt über die mangelnde Beteiligung der Sportler
an der Leistungssportreform und kritisiert das IOC-Urteil zu
Russland. Zudem sorgt der Finanzmittelstau durch die langwierige,
bisher vergebliche Bildung einer Bundesregierung für Frust und Unmut.


«Wenn es so läuft wie im Moment, werde ich als Athletensprecher nicht
weitermachen», sagte Hartung der «Süddeutschen Zeitung» (Mittwoch).

«Sportler aus anderen Ländern, die in etwa so erfolgreich sind wie
ich, verdienen in ihrer Sportkarriere mindestens zehnmal so viel»,
sagte der Athletensprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes.

«Die Sorgen der Athleten müssen abgefedert werden, ohne Aufstockung
der Förderung geht es nicht», pflichtete Siegfried Kaidel, Sprecher
der Spitzenverbände, Hartung bei. «Da muss der Staat mit ran.»

So forderte Hartung, dass von der für die Umsetzung der Reform vom
Bund zugesagten Erhöhung der Mittel «ein relevanter Millionenbetrag»

direkt den Athleten zugute kommen solle. «Also für jene Athleten, die
nicht bei Polizei, Bundeswehr oder Zoll angestellt sind», fügte er
hinzu. Der durchschnittliche Betrag von rund 650 Euro monatlich müsse
auf 1500 Euro angehoben werden. «1500 Euro hört sich vielleicht viel
an, aber man muss ja auch sehen, dass der Sport die bestmöglichen
Leute will und nicht irgendwen», argumentierte er.

Um eine Aufstockung der Athletenunterstützung will sich auch die
Deutsche Sporthilfe weiter bemühen. «Noch ist diese Förderung der
Athleten in Deutschland nicht ausreichend, um im internationalen
Wettbewerb dauerhaft mithalten zu können», sagte ihr
Vorstandsvorsitzender Michael Ilgner.

Sollte sich die finanzielle Ausstattung der Athleten nicht
verbessern, drohe der Verlust vieler Talente, warnte Hartung. «Da
kann man die beste Skischanze haben und den besten Wildwasserkanal,
das nützt alles nichts, wenn man keine talentierten Menschen findet,
die auch Leistungssport betreiben wollen», sagte Hartung. Er gehört
zu den Gründern des Vereins «Athleten Deutschland», mit dem die
Topsportler sich mehr Gehör in der Sportpolitik verschaffen wollen.

Ein heikles Thema ist auch die Leistungssportreform, bei der sich die
Athleten nicht wirklich einbezogen sehen. Die Umsetzung laufe «im
Prinzip leider ohne Athletenbeteiligung», sagte Hartung. «Wenn die
Reform jetzt richtig beginnt, müssen die Athleten einfach näher am
Ball sein.» Auch in diesem Punkt stimmt ihm Kaidel zu: «Im Nachhinein
ist man immer klüger, aber man hätte sie besser einbinden können.»


Allerdings herrscht auch unter den Spitzenverbänden wegen der
ungewissen politische Lage in Berlin und dem wohl noch länger
andauernden Warten auf mehr Geld große Unzufriedenheit. «Es ist schon
lähmend», befand Kaidel, der als Präsident der deutschen Ruderer auch

unmittelbar betroffen ist. «Zusätzliche Trainingsmaßnahmen vor der WM

im September konnten wir nicht machen.» Dies gelte für alle Verbände.

«Jedes Jahr, in dem wir uns nicht optimal vorbereiten können, ist ein
verlorenes», meinte Kaidel mit Blick auf die Olympischen Spiele 2020
in Tokio.

Kritik übte Hartung auch an der Entscheidung des Internationalen
Olympischen Komitees als Konsequenz aus dem russischen Doping- und
Betrugsskandal um die Winterspiele 2014 in Sotschi. Danach dürfen
Russen nach bestandener Individualprüfung bei den Spielen im Februar
in Pyeongchang starten. «Der ganze Prozess war sehr zäh und sehr
enttäuschend», meinte Hartung. Am Ende haben man «zumindest
eingeräumt, dass es ein Betrugssystem gab».