Bottroper Apotheken-Skandal: Hoffen auf Antworten vor Gericht

Jahrelang soll ein Apotheker Krebsmedikamente gestreckt und sich so
bereichert haben. Nun steht er vor Gericht. Viele mutmaßliche Opfer
hoffen, dass es endlich Antworten auf ihre quälenden Fragen gibt.

Essen (dpa) - Er soll mit gepanschten Medikamente Millionen erbeutet
haben - ohne Rücksicht auf das Leben seiner Patienten: In einem der
spektakulärsten Medizin-Skandale der vergangenen Jahre steht ein
Apotheker in Essen vor Gericht, weil er massenhaft Krebsmedikamente
gepanscht haben soll. Mindestens 1000 Krebskranke sollen betroffen
sein, allein den gesetzlichen Krankenkassen soll laut Anklage ein
Schaden von 56 Millionen Euro entstanden sein. Zahlreiche Kunden der
Bottroper Apotheke verfolgten den Prozessauftakt am Montag und
hofften auf Antworten. Doch ob der Angeklagte sein Schweigen bricht
und sich erstmals zu den Vorwürfen äußert, blieb zunächst unklar.

Zwischen 2012 und 2016 soll der Apotheker fast 62 000 Mal
Krebsmedikamente mit zu wenig Wirkstoff versehen haben. Es sei ihm
darum gegangen, «sich eine erhebliche Einnahmequelle zu verschaffen»,
argumentiert die Staatsanwaltschaft. In der Anklageschrift sind 35
Wirkstoffe aufgeführt, von denen der Apotheker höchstens 70 Prozent
der eigentlich benötigten Menge eingekauft haben soll. Die Anklage
lautet auf Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz, Betrug und versuchte
Körperverletzung. Dem 47-Jährigen drohen bis zu zehn Jahre Haft sowie
ein Berufsverbot.

Betroffen sind den Ermittlungen zufolge Patienten von 37 Ärzten,
Praxen und Kliniken in sechs Bundesländern, die meisten in
Nordrhein-Westfalen. Lieferungen gingen aber auch an jeweils eine
Klinik oder Praxis in Rheinland-Pfalz, dem Saarland,
Baden-Württemberg, Niedersachsen und Sachsen.

Um nicht wegen ausbleibender Nebenwirkungen oder Farbabweichungen
aufzufallen, soll der 47-Jährige beim Verdünnen und Panschen großen
Wert darauf gelegt haben, dass «immerhin ein wenig Wirkstoff in den
Infusionsbeuteln vorhanden war», heißt es in der Anklage.

Rund 20 Kunden des Apothekers oder ihre Angehörigen sind für den
Prozess als Nebenkläger zugelassen. Sie erwarten vor allem Antworten
auf die Frage nach dem Warum. Eine von ihnen, Heike Benedetti aus
Bottrop, sagte vor Prozessbeginn: «Ich möchte leben und kämpfe dafü
r,
dass es ein gerechtes Urteil geben wird.» Cornelia Thiel aus Marl
sagte: «Ich möchte, dass der Angeklagte nachempfinden kann, was er
für ein Leid über krebskranke Menschen gebracht hat.» Ihr eigenes
Leid sei die Ungewissheit. «Ich möchte wissen, ob er mir Lebensjahre
geklaut hat.»

Dass der Angeklagte im Wesentlichen wegen Betrugs vor Gericht steht,
geht vielen nicht weit genug. Nebenklage-Anwalt Siegmund Benecken
forderte, die mutmaßlichen Taten als versuchten Mord aus Habgier zu
behandeln.

Ob der Angeklagte die erhofften Antworten gibt, blieb am ersten
Prozesstag offen. Für diesen Dienstag haben seine Anwälte ein
«Statement der Verteidigung» angekündigt - dabei handele es sich aber

nicht um eine Einlassung im Namen des Angeklagten.

Der mutmaßliche Medikamentenskandal war von zwei Mitarbeitern des
Apothekers aufgedeckt worden. Sie hatten sich über einen Anwalt an
die Staatsanwaltschaft gewandt.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte von Bund und Ländern,
Schwerpunktapotheken für Krebsmedikamente schärfer zu kontrollieren.
Deutschlandweit gebe es 300 dieser Apotheken, sagte Stiftungsvorstand
Eugen Brysch. Anders als bislang müsse jede viermal im Jahr durch
einen Amtsapotheker kontrolliert werden. Nordrhein-Westfalens
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte nach Bekanntwerden
der Vorwürfe bereits verbesserte Regelungen bei der
Apothekenüberwachung angekündigt.