Ärger um Brief und E-Mail - die Wahlkampfwoche im Überblick Von Tom Nebe, dpa

Es geht auf die Wahlkampf-Zielgerade. SPD-Kandidat Schulz sendet in
dieser Woche Spitzen gegen Merkel, die Kanzlerin hat mit kritischen
Bürgern zu tun, und der Spitzenkandidat der FDP hat gut lachen. Für
Gesprächsstoff sorgt einmal mehr auch die AfD. Ein Wochenrückblick.

Berlin (dpa) - Eine gute Woche vor der Wahl mobilisieren alle
Parteien noch einmal die letzten Kräfte. Für die SPD geht es in den
Umfragen auf und ab, aber nicht so richtig vorwärts. Kanzlerin Angela
Merkel (CDU) muss sich bei zwei TV-Auftritten Bürgern stellen. Und
Christian Lindner? Hatte schon immer rhetorisches Talent.

WENN HEUTE WAHL WÄRE - DIE UMFRAGEN

Erst der Tiefschlag, dann die Hoffnung: Im ARD-«Deutschlandtrend» lag
die SPD am Donnerstag bei nur noch 20 Prozent - schwächster Wert seit
Januar und in der «Deutschlandtrend»-Historie überhaupt. Die Union
blieb in dieser Umfrage unverändert bei 37 Prozent. Am Freitag dann:
neue Zahlen vom ZDF-«Politbarometer», die etwas Balsam für die stark

gebeutelten Sozialdemokraten gewesen sein dürften. Sie stiegen auf 23
Prozent (plus 1), die CDU/CSU sackte um zwei Punkte auf 36 Prozent.

Wer wird Dritter? Seit Wochen ist das die eigentlich spannendere
Frage. Im «Politbarometer» besetzten AfD und FDP Rang drei (je 10
Prozent), Linke und Grüne folgten mit 9 bzw. 8 Prozent. Klarer war
der Abstand im «Deutschlandtrend»: Dort hat die AfD mit 12 Prozent
etwas Vorsprung vor FDP (9,5), Linkspartei (9) und Grüne (7,5).

WER MIT WEM? DIE MÖGLICHEN KOALITIONEN

Nach Berechnungen der Politikwissenschaftler Thomas Gschwend und
Helmut Norpoth könnte die Union mit der FDP regieren. Die Forscher
erwarten für Schwarz-Gelb mit 88-prozentiger Wahrscheinlichkeit einen
Zweitstimmenanteil von 49,4 Prozent. Auch eine Neuauflage der großen
Koalition sowie ein Jamaika-Bündnis von Union, FDP und Grünen seien
rechnerisch möglich. Die Professoren nutzten für ihre Prognose eine
eigene Berechungsformel, die unter anderem auch die Popularität der
Amtsinhaberin sowie den Rückhalt der Parteien bei vorherigen
Bundestagswahlen einbezieht.

Die Umfragen geben neben der GroKo noch die Jamaika-Variante
CDU+FDP+Grüne her. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach sich
indes für eine Ampel mit SPD, Grünen und FDP aus. «Ich bin ein groß
er
Fan, bin ein Sozialliberaler, im Kern halte ich das für die richtige
Koalition», sagte er dem SWR. Doch nicht nur, dass die Ampel in den
Umfragen keine rechnerische Mehrheit erreicht. Auch Liberale und
Grüne sehen eine Koalition miteinander skeptisch - was auch Jamaika
erschweren würde.

WAS LOS WAR - DIE WORTE DER WOCHE

Ein zweites TV-Duell? SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz (SPD) hat
Angela Merkel (CDU) dazu aufgefordert: in einem Brief. Ihre Absage
dürfte Schulz nicht überrascht haben. Doch die Art und Weise. Die
erste Reaktion auf seinen Brief ans Kanzleramt kam nicht von dort,
sondern mündlich aus der für Merkels Wahlkampf zuständigen
CDU-Zentrale. «Ich erwarte schon, dass Frau Merkel sich dazu
herablässt, Briefe, die ich an sie richte, selbst zu beantworten»,
stänkerte Schulz.

Von dem großen Rückstand in den Umfragen lässt sich der
Herausforderer nicht entmutigen, zumindest nach außen nicht: «Ich
strebe an, Bundeskanzler zu werden. Und wenn Frau Merkel in mein
Kabinett eintreten will, kann sie das gerne tun», hielt er fest.

Merkel ging auf Schulz' Attacken nicht ein. Die CDU-Chefin sorgte
dafür mit ihren TV-Auftritten für Gesprächsstoff. In der
ARD-«Wahlarena» sendete sie eine klare Botschaft in Richtung der
Schwesterpartei CSU: mit mir keine Obergrenze für Flüchtlinge. Merkel
betonte: «Ich möchte sie nicht. Garantiert.» Und erntete prompt
Widerspruch von CSU-Chef Horst Seehofer. In der ZDF-Sendung
«Klartext» versprach sie, im Fall der Wiederwahl volle vier Jahre
Kanzlerschaft durchzuhalten.

Im Mittelpunkt der TV-Sendungen stand nicht nur die Kanzlerin: In
«Klartext» wurde Merkel von der Reinigungskraft und Gewerkschafterin
Petra Vogel zum Thema Rente in die Zange genommen. Vogel ist Mitglied
der Linkspartei, was in der Sendung aber nicht erwähnt wurde.

Nach der ARD-«Wahlarena» redeten alle über den angehenden
Krankenpfleger Alexander Jorde. Der hatte leidenschaftlich die
Missstände in der Pflege angeprangert: Pfleger seien überlastet und
für zu viele Patienten zuständig. Und: Die Würde der Menschen werde
in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen «tausendfach verletzt».
Jorde befragte Merkel hartnäckig - und bekam viel Lob im Netz.

Einmal mehr Unruhe gab es um AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel.
Diesmal ging es nicht um einen stürmischen TV-Show-Abgang, sondern
eine über vier Jahre alte E-Mail mit Demokratie-verachtenden Thesen,
die von ihr stammen soll. Ein AfD-Pressesprecher bezeichnete die Mail
als Fälschung - der «Welt am Sonntag» liegt nach eigenen Angaben aber

eine eidesstattliche Versicherung des Empfängers, eines früheren
Bekannten Weidels, vor. Weidel selbst sah in der Berichterstattung
eine Kampagne und fand das «einfach unfassbar».

PANNEN UND KURIOSES

Ein alter Videoclip über Christian Lindner zeigt den
FDP-Spitzenkandidaten als hemdsärmeligen Jungunternehmer, der im
geliehenen Benz auf dem Schulhof des Gymnasiums seiner Heimatstadt
Wermelskirchen bei Köln vorfährt. In dem dreiminütigen Film von 1997

wirft Lindner nur so um sich mit markigen Aussagen: «Probleme sind
nur dornige Chancen!» Im Internet wird der Film zum Hit und
millionenfach angeschaut.

Lindner ist 18 Jahre alt und steht vor dem Abi, als der Beitrag für
die Deutsche Welle gedreht wird. Die RTL-Sendung «Stern TV» grub ihn
aus. «Sein Handwerk versteht er schon damals - einem eine Waffel ans
Ohr quatschen und zu 100 Prozent von sich überzeugt sein», schrieb
eine Frau auf Facebook. Sein rhetorisches Talent hat Lindner nicht
verloren: Experten vom Redenschreiber-Verband VRdS zufolge ist er
unter allen Spitzenkandidaten der beste Redner im Wahlkampf 2017.

Während Lindner über all die Aufmerksamkeit nicht unglücklich sein
dürfte, hätte Parteikollege Jörg Schnurre aus Sachsen-Anhalt auf die

Publicity lieber verzichtet. Auf einem Flyer hatte der FDP-Kandidat
unter anderem jungen Wählern zwei Euro versprochen, wenn er in den
Bundestag gewählt wird. Eine Welle der Entrüstung folgte und eine
Anzeige. Schnurre wollte die Aktion beenden und sich entschuldigen.

WAS WICHTIG WIRD

Bei den RTL-Sommerinterviews haben Merkel und Schulz jeweils noch
einmal die große TV-Bühne für sich. Die Kanzlerin ist Dienstag dran,

ihr Herausforderer folgt am Mittwoch.