Sozenbräu und Kaffeetreff: Ungewöhnlicher Wahlkampf gegen die AfD Von Martina Rathke und Winfried Wagner, dpa

Bei der Landtagswahl errang die AfD im Süden Vorpommerns drei
Direktmandate. Nun hofft sie hier auf einen ähnlichen Erfolg bei der
Bundestagswahl. SPD und CDU versuchen, mit unkonventionellen Methoden
im «spannendsten» Wahlkreis Deutschlands zu punkten.

Wolgast/Anklam (dpa) - Das Auto von Bundeskanzlerin Angela Merkel
wurde mit Tomaten beworfen, «Volksverräter»- und «Hau-ab»-Rufe
schallten der CDU-Chefin in Wolgast hinterher. Blanker Hass und
blinde Wut schlugen Merkel am vergangenen Freitag entgegen - von etwa
150 Anhängern der AfD, der NPD und rechten Initiativen.

Die 12 000 Einwohner zählende Stadt Wolgast liegt im Wahlkreis 16
(Mecklenburgische Seenplatte I - Vorpommern-Greifswald II), den
politische Beobachter als die Region sehen, in der die AfD den
anderen Parteien am ehesten das Direktmandat wegschnappen könnte. Bei
der Landtagswahl 2016 errang die AfD hier drei Direktmandate.

«Die Flüchtlingskrise war nur der Katalysator für dieses
Wahlergebnis», sagt der CDU-Politiker und Direktkandidat Philipp
Amthor. Vor allem das Unverständnis über die Strukturentscheidungen
der Landesregierung hätten die Menschen damals bewogen, die AfD zu
wählen. Die CDU, die die Region bis 2016 politisch beherrschte,
zahlte die Zeche. Mecklenburg-Vorpommerns AfD-Chef Leif-Erik Holm
sagte: «Der Rückzug des Staates aus der Fläche hat uns stark
gemacht.»

Die von der Ost-Beauftragten Iris Gleicke konstatierte
Strukturschwäche im Osten Deutschlands zeigt sich in Vorpommern
zwischen Wolgast, Anklam und Pasewalk in besonderem Maße. Es fehlen
gut bezahlte Industriearbeitsplätze. Die Strukturreformen für
Polizei, Gerichte und Landkreise taten in den vergangenen Jahren ein
Übriges - mit den Reformen gingen auch engagierte Bürger auf die
Suche nach neuen Arbeitsplätzen.

Volkswirte vom Dresdner Ifo-Institut konstatierten dort, wo die
Auswirkungen der Gebietsreform besonders hoch waren, einen höheren
Anteil an AfD-Wählern als anderswo. In Wolgast kam hinzu, dass im
Krankenhaus die Kinder- und Geburtenstation schloss.

Als Juniorpartner hatte die CDU in der SPD-geführten Schweriner
Regierung den strammen Reformkurs der letzten Jahre mitgetragen. 2017
macht Merkel in Wolgast deutlich, was sie inzwischen davon hält: «Es
wird nicht immer alles besser, wenn man weiter zentralisiert.»

In den letzten Wochen vor der Wahl geben sich Spitzenpolitiker von
CDU und SPD nun die Klinke in die Hand. Außenminister Sigmar Gabriel
(SPD) unterstützte in Anklam den sozialdemokratischen
Direktkandidaten. Für die CDU erhält der 24-jährige Philipp Amthor
nicht nur prominente Unterstützung von Kanzlerin Merkel.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Unionsfraktionschef Volker
Kauder und CSU-Chef Horst Seehofer sorgten für Glanz auf Amthors
Wahlveranstaltungen.

«Dieser Wahlkreis ist der spannendste in ganz Deutschland», sagt
Patrick Dahlemann von der SPD. Als einziger konnte er hier der AfD
bei der Landtagswahl Paroli bieten und einen Wahlkreis gewinnen.
Dahlemann, der nach der Wahl zum Vorpommern-Staatssekretär berufen
wurde, ist seitdem bemüht, den Bürgen zu vermitteln, dass sie mit ihm
einen Fürsprecher in Schwerin sitzen haben. «Wir müssen die Menschen

bei den politischen Entscheidungen mitnehmen», sagt er.

Die CDU gründete drei Monate nach der Landtagswahl in Anklam einen
Konservativen Kreis. Mit dem Ruf nach einem starken Rechtsstaat und
mehr Polizei gibt es Schnittmengen mit der AfD. «Rechts neben uns
kann sich nichts mehr an demokratischen Parteien befinden», gab der
Sprecher der Konservativen, Sascha Ott, vor. Für Amthor, der mit dem
Slogan «Neuer Mut» um Stimmen wirbt, ist das Thema Sicherheit eine
Kernbotschaft seines Wahlkampfes. Die AfD sieht er als «Konkurrenten
Nr. 1».

Die AfD will im Wahlkreis ein politisches Signal setzen. «Wir haben
hier gute Chancen, das Direktmandat zu erringen», sagt Landeschef
Holm. Mit dem 49-jährigen Enrico Komning schickt die Partei ihren
Vize-Fraktionschef ins Rennen. Dass die Konkurrenz von CDU und SPD
diesmal besonders viel Politprominenz in die Region holt, stört
Komning nicht. Die größere Konkurrenz sieht er beim Kandidaten der
Linken, Toni Jaschinski.

Bürgernähe ist das Schlagwort aller Kandidaten: Der AfD-Mann lädt zu

Bürgerforen in kleine Städte. Amthor plakatierte seine Handynummer
mit dem Slogan: «Sie kochen den Kaffee. Ich bringe den Kuchen.» Viele
Bürgertermine seien so zustande gekommen, sagt er. Eine
unkonventionelle Art des Wahlkampfes gibt es auch bei der SPD. Der
Kandidat Heiko Miraß verteilt Bierflaschen mit dem Etikett «Sozenbräu

- Das Bier für das rote Wunder».