«Wer hat's als Erster auf YouTube?» - Psychologe zum Thema Gaffen

Die Polizei verurteilt das Verhalten Schaulustiger scharf auf
Facebook. Der Psychologe Alfred Gebert erklärt, warum das eine gute
Idee ist - und warum jeder Gefahr läuft, zum Gaffer zu werden.

Baden-Baden (dpa) - Sie zückten ihr Smartphone und forderten einen
Mann zum Sprung vom Hoteldach auf: Das Verhalten von Schaulustigen am
Montagabend in Baden-Baden hat Bevölkerung und Polizei entsetzt. Für
den Psychologen Alfred Gebert aus Münster ist die Szene Zeichen einer
zunehmenden Verrohung der Gesellschaft. «Das Phänomen des Gaffens
nimmt zu.» Verstärkt werde es durch die neuen Medien. «Jeder hat
immerzu ein Smartphone dabei, am Ende geht es nur darum, wer den Film
als Erster auf YouTube hochlädt.»

In Baden-Baden gelang es der Polizei, den Mann vom Sprung abzuhalten.
«Die Kollegen waren schockiert vom Verhalten der Unbeteiligten vor
Ort», sagt Yannik Hilger, Sprecher beim Polizeipräsidium Offenburg.
Rund 50 Menschen hatten sich demnach um das Hotel geschart. Eine
Handhabe hätten sie kaum gegen solche Schaulustigen und selbst der
Aufruf zum Sprung sei nicht strafbar. «Die Kollegen hätten
Platzverweise erteilen können», sagt Hilger. «In dieser Situation
hatte die Rettung des Mannes vom Dach aber Priorität.»

Kurz nach dem Vorfall machte die Polizei ihrem Ärger auf Facebook
Luft: «Schämt euch», steht auf einem Foto, auf dem ein gezücktes
Smartphone zu sehen ist, darüber eine Beschreibung des Hergangs. «Wir
wollten klarstellen, dass wir dieses Verhalten nicht akzeptieren»,
sagt Hilger. Der Beitrag wurde über 200 mal geteilt und hat mehr als
80 Kommentare erhalten. Das Verhalten wird darin als «beschämend»

bezeichnet, als «furchtbar» und «beunruhigend».

«Wenn Sie nachfragen, wird jeder Gaffen verurteilen», sagt Psychologe
Gebert. «Und dann kommt man selbst in so eine Situation und ist
plötzlich mittendrin.» Dabei entstehe eine Gruppendynamik. Allein sei
die Bereitschaft zu helfen viel größer. «In einer Gruppe gucken alle

nur und sagen sich, irgendjemand wird schon was tun, dann fängt wie
in Baden-Baden noch einer an zu rufen und andere stimmen ein.»

Den Facebook-Post der Polizei hält Gebert grundsätzlich für ein gutes

Mittel, um Menschen für das Thema zu sensibilisieren. «Wenn die
Gesellschaft so ein Verhalten nachdrücklich verurteilt und
Gaffer-Videos im Internet konsequent gelöscht werden, wird der
soziale Druck auf die Filmer irgendwann zu groß.»