Die Exhumierung eines Genies - «Dalí hätte dieser Zirkus gefallen» Von Carola Frentzen, dpa

Hunderte Schaulustige waren in den kleinen Ort Figueres im Nordosten
Spaniens geströmt. Dort wurde nach 30 Jahren der Sarg von Salvador
Dalí geöffnet - für eine DNA-Probe. Eine makabre Frage bewegte alle:

Hat der Maler noch sein berühmtes Zwirbelbärtchen?

Figueres (dpa) - Surreal war die Kunst von Salvador Dalí, und surreal
ist auch das, was sich in der Nacht zum Freitag in der Krypta seines
Museums im katalonischen Figueres abspielte. Denn das Grab, in das
der Meister vor fast 30 Jahren mit großem Brimborium gebettet worden
war, musste auf Anordnung der spanischen Justiz geöffnet werden.
Nicht alle waren damit einverstanden, die Ruhe des Maestro zu stören.
Dalís Stiftung hatte sogar bis zuletzt versucht, die schaurige Aktion
vor Gericht zu stoppen.

«Das Ganze ist wie ein schlechter Witz», entrüstete sich eine Frau

aus Figueres gegenüber spanischen Journalisten. Sie erinnere sich
noch gut daran, wie sie 1989 dem einbalsamierten Leichnam die letzte
Ehre erwiesen habe. Ein anderer Bürger gab sich
milder: «Dieser Zirkus in seinem Museum, der hätte ihm gefallen.»

Denn der Surrealismus-Künstler Dalí (1904-1989) war ein Mann der
Provokationen, überheblich und eitel - und wusste sich wie kaum e
in
anderer in Szene zu setzen. Auch nach seinem Tod.

Mehr als 60 000 Menschen säumten seinerzeit die Straßen der
Ortschaft, um von ihm Abschied zu nehmen. Als Diener in von
Dalí entworfenen Phantasieuniformen den dunklen Sarg zur Grabstätte
trugen, hätte sich wohl niemand träumen lassen, dass der Körper knapp

30 Jahre später noch einmal zum Vorschein kommen würde. Trotz
aller Kritik, eine etwas morbide Frage bewegte doch viele: Hat er
noch sein berühmtes Zwirbelbärtchen? 

Aber der Reihe nach. Es geht um eine Vaterschaftsklage. Die Spanierin
Pilar Abel Martínez behauptet, von dem Künstler gezeugt worden zu
sein, als ihre Mutter in den 1950er Jahren eine Liebesbeziehung zu
Dalí unterhielt. Sollte sich das als wahr herausstellen, würde dies
ein neues Licht auf den Exzentriker werfen - hatte der doch einen
Großteil seines Lebens behauptet, impotent und sexuell unerfahren zu
sein.

Mit einer massiven, eineinhalb Tonnen schweren Marmorplatte war die
Totengruft per Flaschenzug damals verschlossen worden - darunter
sollten auch die vielen Mythen und nie aufgeklärten Gerüchte, die
Dalí umgaben, für immer beerdigt werden. Nun half ein Team von
Bauarbeitern, den Stein zu heben.

Mit möglichst wenig Aufsehen wollte die Gala-Salvador-Dalí-Stiftung,
die sich energisch gegen die Anordnung gewehrt hatte, die
Graböffnung hinter sich bringen. Erst am Mittwoch wurde mitgeteilt,
dass die Exhumierung nun tatsächlich am Donnerstag vollzogen
werde, nach der Schließung des Museums und unter Ausschluss der
Öffentlichkeit. 

Die wenigen Anwesenden - darunter Gerichtsmediziner, Juristen und die
Bürgermeisterin von Figueres - wurden zu absolutem Stillschweigen
verpflichtet. Bereits am Eingang mussten sie ihre Smartphones
abgeben, Fotos waren strengstens verboten. Zudem wurde die Aktion
durch weiße Zelte verhüllt, damit keine Drohnen durch die Glaskuppel
des Gebäudes Aufnahmen machen konnten.

Ein paar Details kamen dennoch ans Tageslicht. So erklärte
Bürgermeisterin Marta Felip nach dem Verlassen des Museums vor
Hunderten Schaulustigen und Journalisten, der Leichnam sei in
gutem Zustand. Luís Peñuelas, Generalsekretär der Stiftung, lüfte
te
dann am Morgen das ultimative Geheimnis: Das berühmte Bärtchen ist

intakt und steht hochgezwirbelt in Position. Der zuständige
Einbalsamierer Narcís Bardalet, der Dalís Körper mit Chemikalien
konserviert hatte, zeigte sich zufrieden. 

Gleichzeitig machte die Stiftung ihrem Ärger Luft: «Uns hat das alles
sehr traurig gemacht - und nicht nur uns, sondern viele Menschen, die
Salvador Dalí geliebt haben.» Haare, Nägel sowie Knochenproben wurden

entnommen und in einem sargähnlichen Behälter abtransportiert. In
etwa zwei Wochen soll laut dem Anwalt von Klägerin Abel Martínez (61)

ein Ergebnis vorliegen, bevor der Richter am 18. September sein
Urteil fällt.

Seine Mandantin, die selbst Mutter von vier Kindern ist, sei nervös,
sagte Verteidiger Enrique Blánquez. Aber es sei auch wichtig für
sie, «den Kreis endlich zu schließen». Schon so lange wolle sie
wissen, wer ihr Vater sei. Abel Martínez hatte immer wieder betont,
es gehe ihr nur darum, den Namen des berühmten Malers, Bildhauers und
Grafikers tragen zu können. Ihr würde aber auch ein millionenschwerer
Pflichterbteil zustehen.

Mutter Antonia, die das Verhältnis mit dem Künstler unterhalten haben
soll, lebt übrigens noch. Allerdings leidet die
86-Jährige an Demenz und steht als Zeugin nicht mehr zur Verfügun
g. 

Was der DNA-Abgleichungstest auch ergeben mag - diese Nacht in
Figueres wird auf jeden Fall im Gedächtnis bleiben. Augenzeugen
sprachen von einem «surrealen Spektakel». Es war fast, als seien

die makabren Fantasien, die der Meister in seinen Bilder
verewigt hatte, für einen Moment lang Realität geworden. Ein kurzer
Blick auf eines der größten Genies des 20. Jahrhunderts, dann wurde
der Sarg wieder geschlossen - oder wie Peñuelas es auf den Punkt
brachte: «Das Wichtigste ist, dass Dalí jetzt wieder in Frieden ruhen

kann.»