Prinzip Hoffnung: Kinder sterben nach neuer Therapie - Arzt entlastet Von Sabine Dobel, dpa

Wenn Kinder sterben, dann ist das immer eine schlimme Nachricht. Ein
renommierter Kinderarzt hat todkranke Jungen mit einer neuen
experimentellen Methode behandelt. Eltern und Ärzte hofften auf
vollständige Heilung - doch am Ende ging es schief.

München (dpa) - Sie kamen aus vielen Teilen der Welt: aus dem Nahen
Osten, aus Russland, Australien und auch Deutschland. Eltern
schwerkranker Kinder, die ihre ganze Hoffnung auf den deutschen Arzt
Christoph Klein setzten. Eine Gentherapie sollte ihre kleinen Jungen
im besten Fall für immer heilen. Dass die Kinder an einer
experimentellen Studie mit einer noch kaum erprobten Methode
teilnehmen sollten, schreckte sie nicht ab. Die einzige Alternative
war eine Stammzellentransplantation - und auch diese ist nicht immer
erfolgreich und hat erhebliche Nebenwirkungen.

Der renommierte Wissenschaftler Klein behandelte ab 2006 in seiner
Zeit an der Medizinischen Hochschule Hannover zehn Jungen mit dem
seltenen lebensbedrohlichen Wiskott-Aldrich-Syndrom (WAS). Am Ende
erkrankten acht von ihnen an Leukämie, bis heute sind drei gestorben.

Angesichts des desaströsen Verlaufs gerät der Arzt, heute einer der
Direktoren des Dr. von Haunerschen Kinderspitals in München, in die
Kritik. Nach einem Bericht im Magazin der «Süddeutschen Zeitung»
kündigt die Uniklinik München, zu der das Kinderspital gehört, eine
Untersuchung an.

Während in Hannover noch eine Prüfung läuft, hat die Kommission zur
«Selbstkontrolle in der Wissenschaft» Klein nun rundweg entlastet.
Die Kommission ist eine Einrichtung der medizinischen Fakultät der
Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Die Untersuchung habe
keinen «Anhalt für wissenschaftliches, ärztliches, rechtliches oder
ethisches Fehlverhalten» Kleins ergeben, hieß es am Montag.

«Ich freue mich über die Rehabilitierung unserer ärztlichen und
wissenschaftlichen Arbeit», teilte Klein auf Anfrage mit. Er sieht
sich ungerechtfertigten Verdächtigungen, Mutmaßungen und
Verurteilungen seitens der Zeitung ausgesetzt.

Nur Jungen sind von dem Gendefekt betroffen, der WAS auslöst. Sie
leiden an Blutungen, manche sterben unbehandelt nach wenigen Jahren,
die meisten erreichen das Erwachsenenalter nicht.

Als Kleins neuer Therapieansatz bekannt wird, wenden sich Väter und
Mütter aus aller Welt an ihn. Die Briefe der verzweifelten Eltern
seien anrührend gewesen, berichtet der Leiter der Kommission, Udo
Löhrs. Manche seien spontan gekommen «und haben um Hilfe gebeten».
«Aus damaliger Sicht war es das Prinzip Hoffnung», sagt auch
Karl-Walter Jauch, Ärztlicher Direktor des Klinikums der LMU.

Nur bei einem Jungen schlug das Verfahren gar nicht an. Bei neun
Kindern wurde es komplett durchgeführt. Mit seinem Wechsel nach
München nahm Klein die Nachbetreuung der Kinder mit. Anfangs sah
alles gut aus: Die Kinder schienen geheilt. Klein veröffentlichte
seine Erfolge, er wurde vielfach ausgezeichnet. Doch in den
Folgejahren erkrankten acht Jungen an Leukämie, drei starben. Die
Studie, die ursprünglich 15 Kinder umfassen sollte, wurde nicht
weitergeführt.

«Die Gentherapie ist erfolgreich gewesen, aber sie ist konterkariert
worden durch die Komplikationen», sagt Löhrs. Bei der Methode werden
sogenannte retrovirale Vektoren eingesetzt. Mit ihnen wurde eine
synthetisch hergestellte, korrekte Gensequenz in die Stammzellen der
Patienten gebracht. So sollte der Gendefekt, der WAS auslöst,
aufgehoben werden. Doch dabei ging etwas schief - denn bei diesen
Vektoren war nicht klar, wo genau das WAS-Gen eingebaut wurde. Als
Klein die Studie startete, gab es noch keine zugelassene Alternative
zu diesen Vektoren. «Heute wissen wir mehr, auch zum Teil durch diese
Studie», sagt Löhrs.

Ob die Nebenwirkungen in dieser massiven Art hätten vorhersehbar sein
können, bleibt Spekulation. Eine Studie in Frankreich bei Kleins
Doktorvater Alain Fischer mit an einem anderen Gendefekt erkrankten
Kindern war nach der Leukämieerkrankung dreier von vier behandelter
Kinder gestoppt worden. In Mailand hingegen ging eine Studie mit
denselben Vektoren gut.

Hätte länger nach geeigneten Stammzellenspendern gesucht werden
sollen? «Das hängt vom Stand der Erkrankung ab, und das ist von außen

nicht zu beurteilen», sagt der Berliner Rechtswissenschaftler
Christian Pestalozza. «Wenn es Spender hätte geben können, hätte ma
n
danach suchen müssen.»

Die Kommission kam zu dem Schluss, dass die Familien der Kinder
ausreichend über die möglichen Nebenwirkungen und die
Stammzell-Alternative aufgeklärt worden waren. Das hätten auch zwei
unabhängige Gutachter, ein Medizinrechtler und ein Mediziner, so
gesehen. Ihre Namen werden allerdings nicht veröffentlicht. «Warum
erfahren wir nicht, wer die Gutachter sind», fragt Pestalozza.

Die Debatte um die Gentherapie bei den WAS-Kindern wird nicht die
letzte dieser Art sein. Neue gentechnische Methoden wecken neue
Hoffnungen. Die Crispr/Cas-Technik etwa, die als eine Art Gen-Schere
mit zuvor unerreichter Genauigkeit die DNA manipulieren kann. Bisher
wird sie verwendet, um neue Pflanzen und Tiere mit besonderen
Eigenschaften herzustellen.

Sie könnte aber vielleicht auch in der Therapie von Gendefekten zum
Zuge kommen. «Was ich mir wünsche: Dass wir eine ganz intensive
Diskussion, einen Diskurs haben werden unter Einbeziehung der
Öffentlichkeit», sagt Löhrs. Denn Tierversuche können nicht alle
Risiken zeigen - manche treten erst zutage, wenn die ersten Patienten
behandelt werden. Mit womöglich tödlichem Risiko.