Ernüchternde Bilanz beim Reizthema Gleichstellung: Es bleiben Lücken Von Werner Herpell, dpa

Gleiche Chancen und Lebensbedingungen für Männer und Frauen - so will
es das Grundgesetz. Auch wenn zuletzt manches besser wurde, bleibt
bei Gehältern, Renten und unbezahlter Arbeit noch viel zu tun.

Berlin (dpa) - Nach vier Jahren Schwarz-Rot fällt die Bilanz der
Gleichstellung von Frauen mit Männern aus Sicht von Experten und
Regierung ernüchternd aus. «Bei der Verteilung von Belastungen und
Chancen zwischen den Geschlechtern geht es in unserer Gesellschaft
immer noch ungerecht zu», sagte Bundesfamilienministerin Katarina
Barley (SPD) am Mittwoch zum neuen Gleichstellungsbericht. «Frauen
arbeiten oft mehr und bekommen dafür weniger.»

So leisten Frauen für Kinder, Haushalt, Pflege und Ehrenamt täglich
über 52 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer, heißt es in dem
bereits Anfang März vorgestellten Sachverständigen-Gutachten, auf dem
der nun vom Bundeskabinett verabschiedete Bericht basiert. Demnach
bringen Frauen pro Tag 87 Minuten mehr Zeit für diese unbezahlte
Arbeit auf als Männer. Zur Schließung der als «Gender Care Gap»
bezeichneten Lücke fordern die Experten, auch Männern zu ermöglichen,

mehr private Sorgearbeit zu leisten.

Barley bedauerte im ZDF-«Morgenmagazin»: «Frauen verdienen immer noch

weniger als Männer, in den Berufen, die sie wählen.» Diese Lohnlück
e
(«Gender Pay Gap») beim durchschnittlichen Bruttostundenverdienst
beträgt in Deutschland 21 Prozent (23 Prozent im Westen inklusive
Berlin, 8 Prozent im Osten). Zudem gibt es dem Bericht zufolge eine
Rentenlücke («Gender Pension Gap»): 2015 erhielten Frauen in
Deutschland um 53 Prozent geringere Ruhestandsbezüge als Männer.

Die Bundesregierung stellt einen solchen Bericht einmal pro
Legislaturperiode vor. Es geht darum, inwieweit die im Grundgesetz
geforderte Gleichstellung der Geschlechter in Bildung und
Erwerbsleben durchgesetzt ist. In ihrer Stellungnahme schließt sich
die Regierung der Sachverständigen-Analyse nun weitgehend an: «Die
statistisch nachweisbaren Unterschiede in der Lebensrealität von
Frauen und Männern sind ein Indiz dafür, dass Gleichstellung im Sinne
verwirklichter Lebensplanungen noch nicht erreicht ist.»

Ministerin Barley betonte aber auch, dass im Vergleich zum ersten
Gleichstellungsbericht von 2011 «bereits wichtige Impulse gesetzt»
worden seien. So profitierten von der Einführung des allgemeinen
gesetzlichen Mindestlohns mehrheitlich Frauen in niedrig entlohnten
Dienstleistungsbereichen und in geringfügiger Beschäftigung. «Mit dem

Ausbau der Kinderbetreuung, dem Elterngeld und dem ElterngeldPlus
sowie mit der Verbesserung der Familienpflegezeit wurden neue
Möglichkeiten zur partnerschaftlichen Arbeitsteilung und zur
dauerhaften eigenständigen Existenzsicherung geschaffen.»

«Gleichstellung ist ein Marathonlauf, das ist kein Sprint», sagte
Barley - seit einigen Wochen Nachfolgerin von Martina Schwesig (SPD)
im Familien- und Frauenministerium - im ZDF. Es funktioniere nicht
über Verordnungen, die Politik müsse aber «Rahmenbedingungen dafür

schaffen, damit jeder auch wirklich diese Entscheidung für sich
treffen kann».

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nannte die Bilanz von
Schwarz-Rot bei der Gleichstellung miserabel. «Für mehr Arbeit in
Fürsorge und Pflege werden Frauen mit weniger Rentenansprüchen
bestraft.» Die Koalition habe «versäumt, die richtigen Anreize dafü
r
zu setzen, dass jedes Paar die für sich geeignete Arbeitsteilung
wählen kann. Es ist fatal, dass die Bundesregierung das Rückkehrrecht
auf Vollzeit versenkt hat. Das Familienministerium hat vier Jahre für
die Familienarbeitszeit getrommelt, doch am Ende nichts geliefert.»

Ein Sprecher des Arbeitgeberverbandes BDA sagte: «Frauen und Männer
entscheiden sich noch immer für unterschiedliche Wege in der
Arbeitswelt. Das hat Folgen für die Gehälter.» Deutschland brauche
daher «mehr Ganztagesbetreuung und Ganztagsschulen, damit mehr Eltern
in Vollzeit arbeiten können». DGB-Vizechefin Elke Hannack erklärte:
«Die Empfehlungen der Sachverständigen sind eine ausgezeichnete
Blaupause für das Regierungsprogramm der nächsten Legislaturperiode»

- etwa bei der Weiterentwicklung des Teilzeitrechts mit einem
Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit.

Wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden
mitteilte, steuern Frauen in Deutschland anteilig immer mehr zum
Haushaltseinkommen von Paaren bei. «Aufgrund der verbesserten
Angebote bei der Kinderbetreuung sind auch Frauen mit drei und mehr
Kindern in der Lage, ihren Beitrag zum Haushaltseinkommen deutlich zu
steigern», hieß es. Deutschland sei aber immer noch «weit entfernt
von einer Auflösung der männlichen Ernährerrolle».