Fahrverbote, Grauzonen, neue Tests - geht dem Diesel die Luft aus? Von Jan Petermann, Martina Herzog und Teresa Dapp, dpa

Schon oft haben Kritiker das Totenglöckchen für den Diesel geläutet.

Doch Industrie und weite Teile der Politik halten zu ihm. Die Debatte
über Fahrverbote sowie Vorwürfe, Autobauer würden immer noch Lücken

ausnutzen, machen die Lage allerdings ernst.

Berlin/Brüssel (dpa) - Blicken Sie noch durch im Diesel-Chaos? Blaue
Plakette ja oder nein, mögliche Fahrverbote als Lösung oder als
Problem - und über all dem die Frage, ob moderne Motoren wirklich so
viel sauberer sind als alte Dreckschleudern. Falls nach Stuttgart
auch München einen Teil der Selbstzünder aus seinem Zentrum verbannen
sollte, könnte dies Autofahrer und Autobauer gleichermaßen schwer
treffen. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen im Diesel-Komplex:

1. Pro und contra Fahrverbote

Es begann in Stuttgart. Das grün-schwarze Landeskabinett von
Baden-Württemberg beschloss im Februar grundsätzlich die Möglichkeit

von Fahrverboten. Nun schwappte die Debatte nach München über, wo
Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wegen hoher Werte von Stickoxid
(NOx) Zufahrtsbeschränkungen für Diesel erwägt. Bis zum Jahresende
muss Bayern laut dem Verwaltungsgerichtshof ein Konzept entwickelt
haben, damit die Schadstoff-Grenzwerte eingehalten werden können.

Der Autoverband VDA ist gegen Einschränkungen für ältere Dieselwagen

etwa der Abgasnorm Euro-5: «Um die Luftqualität in den Städten zu
verbessern, gibt es intelligentere Maßnahmen als Fahrverbote.»
Initiativen für besseren Verkehrsfluss könnten den Ausstoß von NOx
schon um ein Drittel drücken. Auch BMW und Daimler sehen das so. VW
plädiert für «klare, bundeseinheitliche Regelungen» - steht aber de
r
vom Bundesverkehrsministerium abgelehnten blauen Plakette für
besonders hohe Umweltzonen-Auflagen im Prinzip «positiv gegenüber».

2. Auch neue Euro-6-Diesel sind nicht immer echte Saubermänner

Der Streit dreht sich vor allem darum, wie mit alten Dieselmotoren
umgegangen werden soll - nicht nur in den bundesweit 54 städtischen
Umweltzonen. Jedoch sind auch Antriebe der jüngeren Euro-6-Generation
oft alles andere als schadstoffarm: Kürzlich fand das Umweltbundesamt
heraus, dass viele der modernen Varianten ebenfalls deutlich mehr NOx
ausstoßen, als sie sollten. Einem Labor-Grenzwert von 80 Milligramm
pro Kilometer standen Alltagsmessungen von 507 Milligramm gegenüber.

Verkehrs-Staatssekretär Norbert Barthle (CDU) beklagt indes eine
«Diffamierungskampagne» gegen den Diesel. Nötig sei stattdessen mehr

Unterstützung für E-Mobilität auch im Nahverkehr - «aber eben nicht

durch Fahrverbote», sagte er der «Heilbronner Stimme». Die von ihm
kritisierte Deutsche Umwelthilfe (DUH) weist die Vorwürfe zurück.

3. Gefahren für die Gesundheit, aber Klimaschutz nur mit dem Diesel?

NOx ist in hohen Dosen ein Atemgift und fördert die Feinstaubbildung.
Laut einigen Studien gibt es auch Zusammenhänge zwischen vorzeitigen
Todesfällen und hoher Stickoxid-Belastung. Die Autobranche betont,
dass Diesel vergleichbarer Leistung geringere Mengen des Klimakillers
CO2 freisetzen als Benziner. Daher seien sie wichtig, um von 2020 an
den EU-Flottengrenzwert von 95 Gramm CO2 je Kilometer einhalten zu
können. Das will aber nicht jeder gelten lassen - so etwa die DUH.

4. Autobauer wollen auf «Brückentechnologie» Diesel nicht verzichten


Deutsche kaufen nach wie vor gerne Dieselautos, für die Sprit dank
Steuervergünstigungen billiger ist. Nicht nur bei den Herstellern,
auch in den Zulieferbetrieben hängen Zehntausende Jobs am Verbrenner.
E-Autos brauchen ganz andere Bauteile. Zudem geht der Ausbau der
Infrastruktur, etwa von Ladestationen, nicht von heute auf morgen. In
Sachen Reichweite und Ladedauer tut sich in der Forschung viel, doch
bis zur Serienreife ist es weit. Der VDA argumentiert, dass der
Verkauf der Verbrenner den Konzernen erst ermöglicht, in abgasfreie
Technologien zu investieren. Die «Verkehrswende» ist eine zähe Sache.


5. Streit über alternative Konzepte

Vor allem die Grünen machen im Wahlkampf Vorschläge für sauberere
Luft. Spitzenkandidat Cem Özdemir will den Abschied vom Diesel über
höhere Steuern für schmutzige Autos beschleunigen. Im Gegenzug
schlägt er Gutschriften bei der Kfz-Steuer für abgasfreie Autos vor,
wie er der «Wirtschaftswoche» sagte. Auch fordern die Grünen, dass
von 2030 an keine Autos mit Verbrennern mehr neu zugelassen werden -
bei der Formulierung gibt es noch Unklarheiten. Das Umweltbundesamt
will Dieselkraftstoff verteuern. Die SPD-Ministerinnen Brigitte
Zypries (Wirtschaft) und Barbara Hendricks (Umwelt) regten an, zu
«überlegen, wie wir Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität

machen».

6. Graustufen im Abgas-Regelwerk

Kritiker sagen, die EU-Regeln zu sogenannten Abschalteinrichtungen
seien nicht eindeutig. Zwar steht in der relevanten Verordnung: «Die
Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von
Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig.» Allerdings
gibt es eine Reihe von Ausnahmen. So darf die Technik eben doch
genutzt werden, um Motorschäden zu verhindern oder den sicheren
Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Umstrittene Folge: Die
Hersteller nutzen «Thermofenster», bei denen in bestimmten
Temperaturbereichen die Abgasnachbereitung heruntergeregelt wird.

7. Die Sicht des Bundesverkehrsministers

Alexander Dobrindt muss seit dem Beginn der Diesel-Affäre viel Kritik
einstecken. Der CSU-Politiker schütze die Branche, lautet der Vorwurf
von Opposition und Umweltschützern. Allerdings wirft auch Brüssel der
Bundesrepublik vor, sie habe VW nicht bestraft und halte Daten
zurück. Es läuft ein Vertragsverletzungsverfahren. Dobrindt sieht das
anders: 2,4 Millionen VW-Diesel müssen im Pflicht-Rückruf umgerüstet,

630 000 weitere Wagen mehrerer Marken in puncto Abgastechnik
«freiwillig» nachgebessert werden. Er unterstützt verschärfte Regel
n
und neue Tests. Ausnahmen bei der Reinigung für den Motorschutz seien
an den «Einsatz der besten verfügbaren Technologien» zu koppeln.

8. Neue Testverfahren ab September - wird dann alles besser?

Das Problem unrealistischer Abgastests ist erkannt. Für NOx soll
deshalb ab September schrittweise das sogenannte RDE-Prüfverfahren
mit Messungen auf der Straße eingeführt werden. Jedoch sollen noch
jahrelang großzügige Abweichungen von geltenden Grenzwerten erlaubt
bleiben. Auch für die Messung von CO2 gelten bald neue Auflagen. Ab
September ist das realistischere WLTP-Verfahren für neue Modelle
verpflichtend. Ein Jahr später wird es für alle Neuwagen zwingend.